Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug bei einzelnen Fehlinvestitionen
Leitsatz (redaktionell)
Der EuGH hatte über den Fall zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug für den Erwerb eines Investitionsgutes auch dann bestehen bleibt, wenn das Investitionsgut später nicht für Umsätze genutzt wird.
Der EuGH hat entschieden, daß bei derartigen Fehlinvestitionen das Vorsteuerabzugsrecht erhalten bleibt. Nach dem Urteil muß Artikel 17 der 6. EG-Richtlinie dahingehend ausgelegt werden, daß sich das Vorsteuerabzugsrecht auf Eingangsleistungen bezieht, die im Rahmen steuerbarer Umsätze verwendet werden sollen. Das Vorsteuerabzugsrecht ist damit – entgegen dem Wortlaut von Artikel 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie, der von Zwecken von der „besteuerten Umsätze” spricht – auch gegeben, wenn es bei Fehlinvestitionen an Ausgangsumsätzen mangelt. Das Urteil bestätigt die Besteuerungspraxis nach dem deutschem Umsatzsteuerrecht. Danach besteht das Vorsteuerabzugsrecht jedenfalls dann, wenn die bezogenen Lieferungen und sonstigen Leistungen unmittelbar in steuerpflichtige Ausgangsumsätze eingehen. Das Vorsteuerabzugsrecht bleibt aber auch dann bestehen, wenn ein solcher unmittelbarer Bezug nicht gegeben ist, z.B. wegen Projektaufgabe, unternehmerischer Erfolglosigkeit oder anderer nicht in der Einflußgewalt des Unternehmers liegender Gründe. Die Leistungsbezüge müssen sich aber aufgrund von Kostengesichtspunkten anderen besteuerten Ausgangsumsätzen des Unternehmers wirtschaftlich zuordnen lassen (Abschnitt 208 Abs. 2 UStR).
Beteiligte
Gründe
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
„Mehrwertsteuer – Sechste Richtlinie – Artikel 17 – Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug – Berichtigung der Vorsteuerabzüge”
In der Rechtssache C-37/95
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom belgischen Hof van Cassatie in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Belgischer Staat
gegen
Ghent Coal Terminal NV
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 17 der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)
erläßt
Der Gerichtshof (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Sechsten Kammer H. Ragnemalm in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer sowie der Richter G. F. Mancini (Berichterstatter) und G. Hirsch,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen:
des Belgischen Staates, vertreten durch Jan Devadder, Conseiller général im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigten im Beistand der Rechtsanwälte Ignace Claeys Bouùaert, zugelassen am belgischen Hof van Cassatie, und Bernard van de Walle de Ghelcke, Brüssel,
der Ghent Coal Terminal NV, vertreten durch Rechtsanwalt Pierre Van Ommeslaghe, zugelassen am belgischen Hof van Cassatie,
der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat Ernst Röder und Assessor Gereon Thiele, Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,
der griechischen Regierung, vertreten durch Michail Apessos, beigeordneter Rechtsberater im Juristischen Dienst des Staates, Maria Basdeki, Rechtsberaterin der Eingangsstufe im Juristischen Dienst des Staates, und Anna Rokofyllou, Sonderrechtsberaterin des Staatssekretärs für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Berend Jan Drijber, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Belgischen Staates, vertreten durch Rechtsanwalt Bernard van de Walle de Ghelcke, der Ghent Coal Terminal NV, vertreten durch Rechtsanwalt Martin Lebbe, Brüssel, der griechischen Regierung, vertreten durch Michail Apessos und Anna Rokofyllou, und der Kommission, vertreten durch Berend Jan Drijber, in der Sitzung vom 11. Juli 1996,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juli 1996,
folgendes
Urteil
1 Der belgische Hof van Cassatie hat mit Entscheidung vom 10. Februar 1995, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 16. Februar 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 17 der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; nachstehend: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Belgischen Staat und der Ghent Coal Terminal NV (nachstehend: Ghent Coal) über die Zahlung des Betrages, den die Ghent Coal im Zusammenhang mit von ihr durchgeführten Investitionsarbeiten ...