Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug, Betrieblich veranlasste Aufwendungen für Leiharbeitnehmer, Verbot der Neueinführung eines Vorsteuerausschlusses
Leitsatz (amtlich)
1. Die Art. 168 Buchst. a und 176 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie innerstaatlichen Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen ein Steuerpflichtiger, der Kosten für die Beförderung, Arbeitskleidung, Schutzausrüstung und Dienstreisen von für ihn tätigen Personen aufwendet, deshalb kein Recht auf Abzug der auf diese Kosten entfallenden Mehrwertsteuer als Vorsteuer hat, weil ihm diese Personen von einem Dritten zur Verfügung gestellt werden und daher im Sinne dieser Rechtsvorschriften nicht als Mitglieder der Belegschaft des Steuerpflichtigen angesehen werden können, obwohl sich hinsichtlich dieser Kosten annehmen lässt, dass sie in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit den allgemeinen Aufwendungen stehen, die mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit dieses Steuerpflichtigen verbunden sind.
2. Art. 176 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass es ihm zuwiderläuft, dass ein Mitgliedstaat im Zeitpunkt seines Beitritts zur Europäischen Union eine Beschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug durch eine nationale Rechtsvorschrift einführt, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug für Gegenstände und Dienstleistungen ausgeschlossen ist, die für unentgeltliche Umsätze oder für andere Tätigkeiten als die wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen bestimmt sind, obwohl ein solcher Ausschluss von den bis zum Zeitpunkt dieses Beitritts geltenden nationalen Rechtsvorschriften nicht vorgesehen war.
Es ist Sache des innerstaatlichen Gerichts, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Vorschriften so weit wie möglich im Einklang mit dem Unionsrecht auszulegen. Sollte sich eine solche Auslegung als unmöglich erweisen, ist das innerstaatliche Gericht verpflichtet, diese Vorschriften wegen Unvereinbarkeit mit Art. 176 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 unangewendet zu lassen.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 168 Buchst. a, Art. 176 Abs. 2
Beteiligte
AES-3C Maritza East 1 EOOD |
Direktor na Direktsia Obzhalvane i upravlenie na izpalnenieto pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite, Plovdiv |
Verfahrensgang
Administrativen sad Plovdiv (Bulgarien) (Urteil vom 24.02.2012; ABl. EU 2012, Nr. C 151/19) |
Tatbestand
„Mehrwertsteuer ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 168 Buchst. a und 176 ‐ Recht auf Vorsteuerabzug ‐ Ausgaben, die mit dem Erwerb von Gegenständen und Dienstleistungen zusammenhängen, die für das Personal bestimmt sind ‐ Personal, das dem Steuerpflichtigen, der das Recht auf Vorsteuerabzug geltend macht, zur Verfügung gestellt, aber von einem anderen Steuerpflichtigen beschäftigt wird“
In der Rechtssache C-124/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad Plovdiv (Bulgarien) mit Entscheidung vom 24. Februar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 7. März 2012, in dem Verfahren
AES-3C Maritza East 1 EOOD
gegen
Direktor na Direktsia „Obzhalvane i upravlenie na izpalnenieto“ pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite, Plovdiv
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. Berger sowie der Richter A. Borg Barthet und J.-J. Kasel (Berichterstatter),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der AES-3C Maritza East 1 EOOD, vertreten durch S. Garbolino, E. Evtimov und Y. Mateeva, advokati,
‐ des Direktor na Direktsia „Obzhalvane i upravlenie na izpalnenieto“ pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite, Plovdiv, vertreten durch V. Apostolov als Bevollmächtigten,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und C. Soulay, sodann durch D. Roussanov als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 168 Buchst. a und 176 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der AES-3C Maritza East 1 EOOD (im Folgenden: AES), einer Gesellschaft bulgarischen Rechts, und dem Direktor na Direktsia „Obzhalvane i upravlenie na izpalnenieto“ pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite, Plovdiv (Direktor der Direktion „Anfechtung und Vollzugsverwaltung“ bei der Zentralverwaltung der Nationalen Agentur für Einnahmen, Plovdiv, im Folgenden: Direktor) über das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer als Vorsteuer, die beim Erwerb verschiedener Gegenstände und Dienstleistungen für...