Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, Vorsteuerabzug, Unentgeltliche Überlassung eines unternehmerischen Gebäudeteils an den Geschäftsführer einer juristischen Person, Unentgeltliche Wohnraumüberlassung an Gesellschafter kein steuerfreier Vermietungsumsatz
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass die Zurverfügungstellung eines Teils eines einer juristischen Person gehörenden Gebäudes für den privaten Bedarf ihres Geschäftsführers, ohne dass vom Begünstigten als Gegenleistung für die Nutzung dieses Gebäudes ein in Geld zu entrichtender Mietzins verlangt wird, keine von der Steuer befreite Vermietung eines Gebäudes im Sinne dieser Richtlinie darstellt und es insoweit ohne Bedeutung ist, dass nach der nationalen einkommensteuerrechtlichen Regelung eine solche Zurverfügungstellung als ein geldwerter Vorteil angesehen wird, der den Begünstigten aus der Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben oder ihres Anstellungsvertrags zufließt.
2. Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 95/7 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass in Situationen wie den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden der Umstand, dass die Zurverfügungstellung des insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Gebäudes oder eines Teils davon an die Geschäftsführer, Verwaltungsratsmitglieder oder Gesellschafter des Unternehmens einen unmittelbaren Zusammenhang zum Betrieb des Unternehmens aufweist oder nicht, nicht erheblich für die Bestimmung ist, ob diese Zurverfügungstellung unter die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. b fällt.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 6 Abs. 2 Buchst. a, Art. 13 Teil B Buchst. b
Beteiligte
Maison Patrice Alard sprl |
Verfahrensgang
Cour de Cassation (Belgien) (Urteil vom 07.04.2011; ABl. EU 2011, Nr. C 211/15) |
Tatbestand
„Vorabentscheidungsersuchen ‐ Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ‐ Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Art. 13 Teil B Buchst. b ‐ Recht auf Vorsteuerabzug ‐ Investitionsgüter, die juristischen Personen gehören und zum Teil ihren Geschäftsführern für deren privaten Bedarf zur Verfügung gestellt werden ‐ Kein in Geld zu entrichtender Mietzins, aber Berücksichtigung eines geldwerten Vorteils im Rahmen der Einkommensteuer“
In den verbundenen Rechtssachen C-210/11 und C-211/11
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Belgien), mit Entscheidungen vom 7. April 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Mai 2011, in den Verfahren
État belge
gegen
Medicom SPRL (C-210/11),
Maison Patrice Alard SPRL (C-211/11)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. Berger und der Richter A. Borg Barthet und J.-J. Kasel (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,
‐ der ungarischen Regierung, vertreten durch K. Szíjjártó, M. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Soulay und W. Roels als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen dem État belge auf der einen und der Medicom SPRL (im Folgenden: Medicom) (Rechtssache C-210/11) bzw. der Maison Patrice Alard SPRL (im Folgenden: MPA) (Rechtssache C-211/11), beides Gesellschaften belgischen Rechts, auf der anderen Seite über den Abzug der Vorsteuer, die für Gebäude entrichtet wurde, die zum Teil für den privaten Bedarf der Geschäftsführer dieser Gesellschaften verwendet werden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie sieht vor:
„Dienstleistungen gegen Entgelt werden gleichgestellt:
a) die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf ...