Entscheidungsstichwort (Thema)
Quellensteuerabzug, Dividendenbezug einer gebietsfremden Gesellschaft, DBA Belgien/Frankreich, Ungleichbehandlung, Steuerstundung
Leitsatz (amtlich)
Die Art. 63 und 65 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach auf die von einer gebietsansässigen Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden Quellensteuer erhoben wird, wenn sie von einer gebietsfremden Gesellschaft bezogen werden, während sie, wenn sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft bezogen werden, nach dem allgemeinen Körperschaftsteuerrecht am Ende des Geschäftsjahrs, in dem sie ausgeschüttet wurden, nur unter der Bedingung besteuert werden, dass die Gesellschaft in diesem Geschäftsjahr einen Gewinn erzielte, wobei sie unter Umständen nie besteuert werden, falls die Gesellschaft ihre Tätigkeit einstellt, ohne seit dem Bezug der Dividenden Gewinne erzielt zu haben.
Normenkette
AEUV Art. 63, 65
Beteiligte
Ministre de l'Action et des Comptes publics |
Verfahrensgang
Conseil d' Etat (Frankreich) (Beschluss vom 20.09.2017; Abl.EU 2017, Nr. C 437/19) |
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 20. September 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. September 2017, in dem Verfahren
Sofina SA,
Rebelco SA,
Sidro SA
gegen
Ministre de l'Action et des Comptes publics
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter F. Biltgen und E. Levits (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Sofina SA, vertreten durch C. Valentin, avocat,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, A. Alidière und E. de Moustier als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch P. Cottin und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, M. H. S. Gijzen, J. Langer und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, H. Shev, C. Meyer-Seitz, L. Zettergren und A. Alriksson als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Z. Lavery als Bevollmächtigte im Beistand von J. Rivett, Barrister,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Gossement und W. Roels als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. August 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 63 und 65 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen den Gesellschaften belgischen Rechts Sofina SA, Rebelco SA und Sidro SA einerseits und dem Ministre de l'Action et des Comptes publics (Minister für den öffentlichen Dienst und den Haushalt, Frankreich) über dessen Weigerung, ihnen die Quellensteuer auf die in den Jahren 2008 bis 2011 an sie ausgeschütteten Dividenden zu erstatten.
Rechtlicher Rahmen
Französisches Recht
Rz. 3
Art. 38 Abs. 1 des Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch, im Folgenden: CGI) bestimmt:
„… [D]er steuerpflichtige Gewinn [ist] der Nettogewinn, der anhand der Gesamtergebnisse der von den Unternehmen getätigten Umsätze jeder Art, u. a. einschließlich der Veräußerungen von Vermögenswerten, sei es während oder am Ende der Nutzungsdauer, ermittelt wird”.
Rz. 4
In Art. 39 Abs. 1 CGI heißt es:
„Der Nettogewinn wird unter Abzug aller Aufwendungen ermittelt …”
Rz. 5
Art. 119bis Abs. 2 CGI sieht u. a. vor, dass bei den in den Art. 108 bis 117bis CGI angeführten Einkünften eine Quellensteuer in der in Art. 187 CGI festgelegten Höhe einbehalten wird, wenn sie an Personen ausgeschüttet werden, die ihren steuerlichen Wohnsitz oder ihren Sitz nicht in Frankreich haben.
Rz. 6
Dividenden gehören zu den in den Art. 108 bis 117bis CGI angeführten Einkünften.
Rz. 7
Nach Art. 187 Abs. 1 CGI in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung beträgt der Quellensteuersatz 25 %.
Rz. 8
In Art. 209 Abs. 1 Unterabs. 3 CGI hieß es in der bis zum 21. September 2011 geltenden Fassung:
„… [I]n einem Steuerjahr erlittene Verluste [werden] als Aufwendungen des folgenden Steuerjahrs angesehen und von dem in diesem Steuerjahr erzielten Gewinn abgezogen. Reicht der Gewinn nicht aus, um den Abzug vollständig vornehmen zu können, wird der verbleibende Verlust auf die nachfolgenden Steuerjahre übertragen.”
Rz. 9
Seit dem 21. September 2011 heißt es in Art. 209 Abs. 1 Unterabs. 3 CGI:
„… [I]n einem Steuerjahr erlittene Verluste [werden] als Aufwendungen des folgenden Steuerjahrs angesehen und von dem in diesem Steuerjahr erzielten Gewinn b...