Entscheidungsstichwort (Thema)
Gespaltene Bekanntgabevollmacht. Bekanntgabe an Ehegatten bei Empfangsbevollmächtigtem. Nichtigkeit wegen Befangenheit des Amtsträgers
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Bekanntgabe an den Bevollmächtigten nach § 122 Abs. 1 S. 3 AO erfordert nicht die Erteilung einer ausdrücklichen „Bekanntgabe”-Vollmacht.
2. Lässt der Steuerpflichtige durch seinen Bevollmächtigten Einspruch einlegen, gibt er dadurch schlüssig zu erkennen, dass er die Bekanntgabe des auf den Einspruch folgenden Änderungsbescheids an den Bevollmächtigten im Wege einer Duldungsvollmacht billigen wird.
3. Für die Bekanntgabe eines Einkommensteuerbescheids, dem eine Zusammenveranlagung zugrunde liegt, ist es ausreichend, wenn dem von beiden Ehegatten gemeinsam Bevollmächtigten eine einzige Ausfertigung übermittelt wird.
4. Eine Einzelbekanntgabe bei Meinungsverschiedenheiten der Ehegatten nach § 122 Abs. 7 Satz 2 AO erfolgt nur für den Fall der Übersendung des Bescheids unmittelbar an die Ehegatten und nicht bei der Bekanntgabe an den gemeinsam Bevollmächtigten.
5. Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil die Besorgnis der Befangenheit des Amtsträgers besteht.
Normenkette
AO § 80 Abs. 3, §§ 82-83, 122 Abs. 1 S. 3, Abs. 7 S. 2, § 125 Abs. 3 Nr. 2, § 155 Abs. 3 S. 1, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 173 Abs. 1 Nr. 2, §§ 268, 347 Abs. 1 S. 2, § 355 Abs. 1 S. 1; VwZG § 8 Abs. 1 S. 3; EStG § 26b; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 S. 1
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob das beklagte Finanzamt (der Beklagte – Bekl –) die Einkommensteuer (ESt) für das Streitjahr 2003 gegenüber der Klägerin (Klin) trotz Vorliegens einer sog. „gespaltenen Bekanntgabevollmacht” bereits bestandskräftig festgesetzt hat.
Die Klin reichte gemeinsam mit ihrem Ehemann am 4. Juli 2001 über ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten (Pb) – einen Steuerberater – beim Bekl ein vom Pb aufgesetztes und mit „Bekanntgabevollmacht” überschriebenes Schriftstück folgenden Inhalts ein:
„Hiermit erteile ich, Herr [Name des Ehemanns der Klin und gemeinsame Anschrift der Eheleute], Bekanntgabevollmacht an Herrn [Name und Anschrift des Pb]. Diese Bekanntgabevollmacht bezieht sich auf sämtliche Verwaltungsakte, die das Finanzamt gegen mich richtet, einschließlich dem vorausgehenden und nachfolgenden damit zusammenhängenden Schriftverkehr. Diese Bekanntgabevollmacht bezieht sich nicht auf Mahnungen wegen Steuerzahlungen, den Versand von Vordrucken und Merkblätter. Diese Bekanntgabevollmacht bleibt gültig solange sie nicht ausdrücklich zurückgenommen wird. Gleichzeitig stelle ich hiermit gegenüber dem Finanzamt den Antrag, mir ein eigenes Exemplar des Steuerbescheids zu übersenden und weise auf die in § 122 Abs. 7 Satz 2 (früher § 155 Abs. 5 Satz 2) ausdrücklich genannte Möglichkeit hin.
Zweck dieser Bekanntgabevollmacht ist, dass Herr [Name des Pb] voll informiert ist und unverzüglich für mich tätig werden kann. Sollte diese Bekanntgabevollmacht unbeachtet bleiben, entstehen Gründe zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
[Ortsname], den 11. Mai 2001 |
[Unterschrift des Ehemanns der Klin] |
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[Trennungszeichen] |
Hiermit erkläre ich, Frau [Name der Klin und gemeinsame Anschrift der Eheleute], dass seitens meiner Person gegenüber Herrn [Name und Anschrift des Pb] keinerlei Bekanntgabevollmacht besteht, eine bisher erteilte Bekanntgabevollmacht ziehe ich hiermit per sofort zurück. Ich möchte sämtlich [sic] mich betreffenden Steuerbescheide, auf § 122 Abs. 7 Satz 2 (früher § 155 Abs. 5 Satz 2 AO weise ich ausdrücklich hin.
Ich möchte sämtliche mich betreffenden Steuerbescheide, aber auch sämtlichen meine steuerlichen Angelegenheiten betreffenden Schriftwechsel vom Finanzamt lückenlos, direkt und persönlich erhalten, auch zu dem Zweck, das nicht immer selbst und sofort informiert bin.
[Ortsname], den 11. Mai 2001 |
[Unterschrift der Klin]” |
Der Bekl bestätigte mit Schreiben vom 24. Juli 2001 gegenüber dem Pb den Eingang dieses Schriftstückes. Zugleich wies er darauf hin, dass er den Schriftverkehr gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) grundsätzlich mit dem Steuerberater zu führen habe und sich nur bei Vorliegen besonderer Gründe – die zur Zeit aber nicht ersichtlich seien – an den Beteiligten selbst wenden dürfe. Er werde daher auch zukünftig alle Schreiben nur an den Pb richten, da dieser von beiden Ehegatten zur Erstellung und Einreichung der Steuererklärung beauftragt und damit Verfahrensbevollmächtigter im Sinne des § 80 AO sei. Nach § 80 Abs. 3 AO könne das Finanzamt nach seinem Ermessen Verwaltungsakte dem Bevollmächtigten bekannt geben, auch wenn keine Empfangsvollmacht vorliege. Besondere Gründe für die Bekanntgabe einer eigenen Ausfertigung an die Klin lägen auch hier nicht vor. Die verfahrenstechnischen Schwierigkeiten und der erhebliche Verwal...