Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Verfassungswidrigkeit der Übertragung des Betreuungsfreibetrags. Antrag auf Übertragung des Betreuungsfreibetrags ist rückwirkendes Ereignis
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Übertragung des Betreuungsfreibetrags des Elternteils, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, auf den Elternteil, bei dem das Kind wohnt, ist auch dann verfassungsgemäß, wenn die Übertragung gegen den Willen des Elternteils, bei dem das Kind nicht wohnt, auf Antrag des anderen Elternteils erfolgt.
2. Wird der Antrag auf Übertragung des Betreuungsfreibetrags nach der Veranlagung des Elternteils, bei dem das Kind nicht gemeldet ist, gestellt, ist die Einkommensteuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO zu ändern, da es sich bei dem Antrag um ein rückwirkendes steuerliches Ereignis handelt.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 6 Sätze 1, 7, § 26 Abs. 1 S. 1; AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 175 Abs. 1 Nr. 2
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute und wurden in den Streitjahren 2000 bis 2002 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger zu 1. ist Vater von zwei Kindern aus einer früheren Ehe, die bei ihrer Mutter leben. Die Klägerin zu 2. ist Mutter von zwei Kindern aus einer früheren Ehe, die bei ihrem Vater leben. Auf Antrag der Mutter der Kinder des Klägers zu 1. wurden die Freibeträge des Klägers für den Betreuungs- und Erziehungsoder Ausbildungsbedarf (Betreuungsfreibeträge) für zwei Kinder auf diese übertragen und blieben folglich in den Einkommensteuerbescheiden der Kläger für 2000 und 2001 zuletzt vom 6. September 2004 und für 2002 vom 13. Januar 2004 ohne Berücksichtigung.
Hiergegen wandten sich die Kläger mit ihren Einsprüchen, die der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 13. September 2004 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, gemäß § 32 Abs. 6 Satz 1 letzter Halbsatz des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für die Veranlagungszeiträume 2000 und 2001 geltenden Fassung werde für jedes Kind, das das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet habe, zusätzlich zum Kinderfreibetrag ein Betreuungsfreibetrag vom Einkommen abgezogen. Nach Satz 7 der Vorschrift werde in den Fällen, in denen die Voraussetzungen für die Zusammenveranlagung nicht erfüllt seien, der dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet sei, zustehende Betreuungsfreibetrag auf Antrag auf den anderen Elternteil übertragen. Tatbestandsvoraussetzung für die Übertragung sei nach dieser Vorschrift demnach, dass ein Antrag gestellt und das Kind in der Wohnung des übertragenden Elternteils nicht gemeldet sei. Die Antragsberechtigung liege bei dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind gemeldet sei. Die Übertragung geschehe in diesen Fällen ohne Mitwirkung des betroffenen Elternteils. Diese Auslegung entspreche der Intention des Gesetzgebers. Dies zeige sich an der ab dem Veranlagungszeitraum 2002 geltenden Fassung, in der klarstellend formuliert sei, dass bei minderjährigen Kindern der dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet sei, zustehende Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf auf Antrag des anderen Elternteils auf diesen übertragen werde. Der andere Elternteil im Sinne dieser Vorschrift sei nur derjenige, bei dem das Kind allein gemeldet sei.
Während des Klageverfahrens hat der Beklagte die Einkommensteuerbescheide für 2001 unter dem 8. April 2005 und für 2002 unter dem 3. Januar 2005 nochmals geändert und auf den Antrag des Vaters der Kinder der Klägerin zu 2. auf Übertragung der Betreuungsfreibeträge für zwei Kinder auf ihn die bisher angesetzten anteiligen Betreuungsfreibeträge insoweit gekürzt.
Mit ihrer Klage tragen die Kläger vor, für die Entziehung eines bereits veranlagten Betreuungsfreibetrages gebe es keine verfahrensrechtliche Grundlage. Ein Antrag des betreuenden Elternteils sei keine neue Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO), er sei auch kein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO, da ein rückwirkendes Ereignis stets eine nachträgliche Änderung des Sachverhalts voraussetze. Die Einkommensteuerbescheide seien auch in materieller Hinsicht rechtswidrig. § 32 Abs. 6 EStG gewähre seit dem Veranlagungszeitraum 2000 zusätzlich zum Kinderfreibetrag einen Betreuungsfreibetrag (ab 2002 Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf), nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 10. November 1998 (2 BvR 1057/91 u.a., BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182) gefordert habe, dass Kinderbetreuungskosten bei allen Eltern und nicht nur bei Alleinerziehenden steuerlich berücksichtigt werden müssten. Es sei offensichtlich, dass Kinderbetreuungskosten nicht nur von dem betreuenden Elternteil getragen würden, sondern auch und gerade von dem barunterhalts...