Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträgliche Änderung eines Steuerbescheids bei Verletzung der Ermittlungspflicht des Finanzamts und der Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen
Leitsatz (redaktionell)
1. Setzt das Finanzamt die Einkommensteuer trotz Zweifel über die lohnsteuermäßige Behandlung einer Einzahlung in eine Direktversicherung endgültig fest und macht nicht vom Instrument der Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) oder einer vorläufigen Steuerfestsetzung (165 AO) Gebrauch, steht der nachträglichen Änderung des Einkommensteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Nachteil des Steuerpflichtigen Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen.
2. Das gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht anfänglich verletzt hat, dies jedoch nicht kausal für das nachträgliche Bekanntwerden der rechtserheblichen Tatsache geworden ist.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 88 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 90 Abs. 1 S. 3; EStG §§ 40b, 34 Abs. 1; BGB § 242
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid zur Änderung des Einkommensteuerbescheids 1999 vom 9. Dezember 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. November 2005 wird aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, haben die Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet haben, §§ 151 FGO i. V. m. 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid des Streitjahres 1999 unter Berufung auf das nachträgliche Bekanntwerden einer Tatsache zum Nachteil der Kläger geändert werden kann.
Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger zu Ziffer 1 war bis zum 31. August 1999 bei der … AG (Arbeitgeber) beschäftigt und erzielte aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Einkommensteuererklärung der Kläger betreffend das Streitjahr 1999 vom 1. Dezember 2000 wurde unter Mithilfe ihres steuerlichen Beraters, der zugleich Prozessbevollmächtigter im finanzgerichtlichen Verfahren ist, gefertigt. In der Anlage N erklärten die Kläger neben laufendem Arbeitslohn des Klägers zu Ziffer 1 entsprechend der Lohnsteuerbescheinigung des Arbeitgebers auch Einnahmen aus Entschädigungen in Höhe von 176.782 DM (Rechtsbehelfsakten, Einkommensteuererklärung 1999, Anlage N, Zeile 11). Im Rahmen der Bearbeitung der Einkommensteuererklärung des Streitjahres forderte der Beklagte vom steuerlichen Berater der Kläger u. a. im Hinblick auf die erklärten Einnahmen aus Entschädigungen diverse Unterlagen an (Rechtsbehelfsakten, Schreiben des Beklagen vom 12. Dezember 2000). Mit Schreiben des steuerlichen Beraters der Kläger vom 2. Januar 2001 wurde auf die Anforderung des Beklagten geantwortet und u. a. die vom ehemaligen Arbeitgeber des Klägers zu Ziffer 1 ausgestellte Verdienstbescheinigung für den Monat August 1999 (Rechtsbehelfsakten, Verdienstabrechnung August 1999) sowie ein Schreiben desselben an den Kläger zu Ziffer 1 vom 14. Juli 1999 (Rechtsbehelfsakten, Schreiben des Arbeitgebers vom 14. Juli 1999) dem Beklagten zu den Akten überreicht.
Aus dem vorgenannten Schreiben des ehemaligen Arbeitgebers vom 14. Juli 1999 erhielt der Beklagte erstmals Kenntnis, dass dieser im Streitjahr einen unverfallbaren Anspruch des Klägers zu Ziffer 1 in Höhe von 141.426 DM – gemäß einer Betriebsvereinbarung – in eine Direktversicherung einzahlte. Der Beklagte forderte daraufhin mit Schreiben vom 10. Januar 2001 vom steuerlichen Berater der Kläger u. a. die betreffende Betriebsvereinbarung und „Unterlagen über den unverfallbaren Anspruch auf eine Direktversicherung i. H. v. 141.426 DM” an (Rechtsbehelfsakten, Schreiben des Beklagten vom 10. Januar 2001). Die Beantwortung des vorgenannten Schreibens wurde vom Beklagten mit Schreiben vom 28. März 2001 angemahnt (Rechtsbehelfsakten, Schreiben des Beklagten vom 28. März 2001). Der steuerliche Berater der Kläger überreichte sodann mit Schreiben vom 20. August 2001 Kopie des Versicherungsausweises der abgeschlossenen Direktversicherung zur Bearbeitung der Einkommensteuererklärung des Streitjahres (Rechtsbehelfsakten, Schreiben des steuerlichen Beraters vom 20. August 2001). Mit Schreiben des Beklagten vom 3. September 2001 bat der Beklagte den steuerlichen Berater der Kläger u. a. um Beantwortung der Frage, wie die Direktversicherung steuerlich behandelt worden sei, und forderte gleichzeitig entsprechende Nachweise a...