Entscheidungsstichwort (Thema)
Identität des Rechtsträgers beim Formwechsel. Erschütterung des Vertrauens in eine verbindliche Auskunft. Änderung. Ermessen
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einem Formwechsel bleibt der Träger von Rechten und Pflichten zivilrechtlich unverändert. Dieser Umstand der Identität des Rechtsträgers entfaltet auch Wirkung im Verfahrensrecht.
2. Eine verbindliche Auskunft ist materiell rechtswidrig und damit unrichtig im Sinne des § 2 Abs. 4 StAuskV, wenn sie ohne Rechtsgrundlage oder unter Verstoß gegen materielle Rechtsnormen erlassen wurde oder ermessensfehlerhaft ist. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit kommt es auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens, also der Bekanntgabe der verbindlichen Auskunft an.
3. Eine Betriebsprüfung ist nicht geeignet, das schutzwürdige Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Bestand und die Bindungswirkung einer verbindlichen Auskunft zu erschüttern. Denn nach der organisatorischen Aufgabenverteilung ist nicht sie für die Erteilung, Aufhebung oder Änderung einer verbindlichen Auskunft verantwortlich, sondern allein die veranlagende Stelle des Innendienstes des Finanzamts.
4. Im Streitfall war die Änderung der eine Umwandlung betreffenden verbindlichen Auskunft mit Bescheid vom 16.12.2019 bereits mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2020 angesichts der bereits getroffenen Dispositionen der Klägerin zu kurzfristig. Angesicht der Gesamtumstände hätte der Klägerin nach Auffassung des Senats mindestens ein Jahr ab dem Zugang des Änderungsbescheids bis zur Wirkung der Änderung eingeräumt werden müssen.
Normenkette
AO § 89 Abs. 2 Sätze 1, 5, § 5; StAuskV § 2 Abs. 4; UmwG §§ 190, 202; FGO § 102
Tenor
1. Der Änderungsbescheid vom 16.12.2019 und die Einspruchsentscheidung vom 18.05.2021 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 Euro, hat die Klägerin in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 Euro kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Klägerin nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.
5. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Änderung einer verbindlichen Auskunft (vA).
1. Die Klägerin ist eine GmbH & Co. KG. Komplementärin ist die B GmbH. Kommanditisten sind die Stadt C (nachfolgend: Stadt) mit einer Einlage von xxx Euro (58,9%) und die D GmbH mit einer Einlage von xxx Euro (41,1%).
2. Die Klägerin ist entstanden durch eine formwechselnde Umwandlung der E GmbH (rückwirkend) zum 01.07.2013 (Handelsregister des Amtsgerichts –AG– X HRA xxx – Eintragung am xxx).
Die Stadt hat anschließend aus ihrem Eigenbetrieb „F” die Betriebszweige Fernwärme- und Wasserversorgung, Bäderbetrieb und Verkehrssparte (Betrieb von Parkhäusern und Industriegleisen), einschließlich der 50%igen Beteiligung der Stadt an der G GmbH, mit Ausnahme des hoheitlichen Bereichs Abwasser auf die Klägerin ausgegliedert (Handelsregister des AG X HRA xxx – Eintragung am xxx).
3. Zur Vorbereitung dieser Umstrukturierung beantragten Stadt und E GmbH (Antragsteller) mit Schreiben vom 02.12.2013 die Erteilung einer vA, nachdem sie bereits mit Schreiben vom 26.04.2012 und vom 05.09.2013 (erfolglose) Anträge auf Erteilung von vAen gestellt hatten (vA-Akte, Bl. 165 ff.).
a) Sie schilderten die Ausgangslage wie folgt:
Die Stadt führe die F in der öffentlich-rechtlichen Organisationsform eines Eigenbetriebs. Nach § 1 der Betriebssatzung umfasse der Eigenbetrieb die Wasser- und Wärmeversorgung, den Betrieb von Bädern, Parkhäusern und des Industriegleises sowie die Abwasserbeseitigung. Steuerlich würden diese Tätigkeiten –bis auf die hoheitliche Abwasserbeseitigung– im Grundsatz jeweils einzelne Betriebe gewerblicher Art (BgA) darstellen (S. 1 f.).
Die Bereiche der Wasser- und Wärmeversorgung sowie des Betriebs der Parkhäuser und des Industriegleises seien gemäß § 4 Abs. 6 Nr. 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) nach den Grundsätzen des steuerlichen Querverbundes in einem Versorgungs- und Verkehrs-BgA zusammengefasst. Eine steuerliche Zusammenfassung zwischen dem Versorgungs- und Verkehrs-BgA und dem Bäder-BgA gemäß § 4 Abs. 6 Nr. 2 KStG sei demgegenüber mangels technisch-wirtschaftlicher Verflechtung nicht erfolgt.
Der Versorgungs- und Verkehrs-BgA und der Bäder-BgA würden deshalb jeweils einzeln veranlagt. Handelsrechtlich erstelle die Stadt jährlich einen Abschluss für den Eigenbetrieb der F und leite daraus Jahresabschlüsse sowohl für die steuerliche Veranlagung des Versorgungs- und Verkehrs-BgA als auch des Bäder-BgA ab (S. 2).
b) Es sei geplant, die F zukünftig mit der D GmbH als strategischem Partner in einem Gemeinschaftsunternehmen i...