Entscheidungsstichwort (Thema)

Die Festsetzung von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer verstößt nicht gegen Unionsrecht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Vorschriften über die Festsetzung von Nachzahlungszinsen verstoßen nicht gegen Unionsrecht.

2. Der Senat erkannte keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Insbesondere ist der Zinssatz von 6 % auf europäischer Ebene nicht als unverhältnismäßig anzusehen.

3. Auch einen Verstoß gegen die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität erkannte der Senat nicht.

 

Normenkette

AO §§ 233a, 238

 

Tenor

Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist eine im Jahr … gegründete GmbH, deren Unternehmensgegenstand … ist. Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung nahm der Prüfer u.a. Hinzuschätzungen bei den zu 19% steuerpflichtigen Netto-Umsätzen bzw. den Umsatzerlösen vor und zwar i.H.v. … EUR (2014), … EUR (2015) und … EUR (2016). Auf Grundlage dieser Hinzuschätzungen erließ der Beklagte am … 2018 entsprechende Umsatzsteuer- und Körperschaftsteuerbescheide sowie Bescheide über Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO zur Umsatzsteuer und zur Körperschaftsteuer für die Streitjahre; die Zinsen zur Umsatzsteuer wurden auf der Grundlage eines Zinssatzes von 6 % p.a. ab dem 1. April des auf den Veranlagungszeitraum folgenden übernächsten Jahres bis zum … 2018 festgesetzt.

Nachdem die hiergegen eingelegten Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 2019 zurückgewiesen worden waren, hatte die Klägerin am 12. November 2019 Klage erhoben, die die Körperschaftsteuer und Zinsen sowie die Umsatzsteuer und Zinsen für 2014 bis 2016 betraf und zunächst unter dem Geschäftszeichen 1 K 1358/19 erfasst wurde. Der maßgebliche Streitgegenstand „Zinsen” wurde sodann abgetrennt und unter dem Geschäftszeichen 1 K 1069/20 erfasst; das Verfahren hatte im Hinblick auf das seinerzeit beim BVerfG anhängige Verfahren 1 BvR 2422/17 geruht. Nach dessen Beendigung und in der Folgezeit erfolgter Rücknahme der Klage betreffend Zinsen zur Körperschaftsteuer wurde das vorliegende Verfahren sodann unter neuem Geschäftszeichen wiederaufgenommen. Nachdem die Beteiligten im parallelen Klageverfahren (1 K 1358/19 betreffend Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer) in der mündlichen Verhandlung am … 2022 eine tatsächliche Verständigung getroffen hatten, erließ der Beklagte am … 2022 entsprechende Änderungsbescheide über Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer, in denen er für das jeweilige Streitjahr die auf den Betrag der Steuerminderung entfallenden Zinsen für denselben Zinszeitraum wie im Ausgangsbescheid ermittelte und von dem jeweils zuvor festgesetzten Betrag abzog; für 2014 erfolgte zudem eine auf der Grundlage der Entscheidung des BVerfG berechnete Verrechnung von Erstattungszinsen (Zeitraum 11. Januar 2021 bis 31. Oktober 2022 – vgl. im Einzelnen USt Bl. 13 f., 19 f., 24 f.).

Die Klägerin beantragt nunmehr sinngemäß (Bl. 11),

die Bescheide über Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer für 2014 bis 2016 vom … 2022 aufzuheben.

Sie trägt vor, die Festsetzung von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer sei rechtswidrig. Das Umsatzsteuerrecht richte sich auch nach dem unionsrechtlich harmonisierten Rechtsbereich der EU. Die Mitgliedstaaten seien bei ihren verfahrensrechtlichen Regelungen an die unionsrechtlichen Prinzipien gebunden. Die Zinsen müssten sich also an den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Neutralität messen lassen. Es werde bezweifelt, dass die nationalen Zinsregelungen diesen Vorgaben standhielten. Diese Zweifel stützten sich auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Senatex (Urteil vom 15. September 2016 C-518/14). Insbesondere in den Fällen, in denen die Steuer, die der Leistende schulde, vom Leistungsempfänger als Vorsteuer geltend gemacht werden dürfe, dem Fiskus also kein Cent verloren gehe, sei die Vereinbarkeit mit Unionsrecht zweifelhaft.

Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung, die nur die Gewerbesteuer betroffen habe, keine Äußerung dazu getroffen. Die Zinsfestsetzung in Höhe von 6 % pro Jahr (0,5 % pro Monat) entspreche nicht mehr den europarechtlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit (Bl. 11).

Der Beklagte beantragt (Bl. 21),

die Klage als unbegründet abzuweisen.

Er ist der Ansicht, die Zinsfestsetzung zur Umsatzsteuer sei zutreffend. Nach der Entscheidung des BVerfG (vom 8. Juli 2021 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/14) seien die Regelungen zur Vollverzinsung gemäß §§ 233a, 238 Abs. 1 Satz 1 AO unter Anwendung eines starren Zinssatzes für Zinszeiträume ab dem 1. Januar 2014 zwar nicht mehr verhältnismäßig und verstießen daher gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG verankerten Gleichheitsgrundsatz. Allerdings habe das BVerfG ausdrücklich die Fortgeltung der Regelungen für die Verzinsungszeiträume vor dem 1. Januar 2019 angeordnet. Diese Anordnung des BVerfG verdiene auch Berücksichtigung im Hinblick auf die Vollverzinsung zur Umsatzsteuerschuld.

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