Vollverzinsung und Unionsrecht

Die Vollverzinsungsregeln gem. § 233a und § 238 Abs. 1a der AO bilden sowohl den Beginn des Zinslaufs als auch die Zinshöhe realitätsnah ab. Das FG Baden-Württemberg entschied, dass die Vollverzinsung zudem auch im Einklang mit den unionsrechtlichen Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität steht.

Vor dem FG Baden-Württemberg wurde der Fall einer Zinsfestsetzung im Rahmen einer Umsatzsteuererstattung für das Jahr 2019 verhandelt. Die Klägerin hatte ihre Umsatzsteuererklärung am 4.3.2020 eingereicht, und das zuständige Finanzamt setzte einen Erstattungsanspruch am 9.8.2022 fest.

Zinsfestsetzung im Erstattungsfall

Obwohl die Zinsen zunächst mit 0 EUR festgesetzt wurden, erging am 13.12.2022 ein Änderungsbescheid, der Zinsen i. H. von 32 EUR für den Zeitraum vom 1.10.2021 bis zum 12.8.2022 festlegte. Die Klägerin klagte, da sie der Meinung war, dass ihr aus europarechtlichen Gründen eine höhere Zinserstattung zustehe. Das FG Baden-Württemberg entschied jedoch zuungunsten der Klägerin.

Gründe für die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung

  • Beginn des Zinslaufs und Zinshöhe: Der Zinslauf begann gemäß § 233a Abs. 2 Satz 1 AO am 1.10.2021, da der Gesetzgeber die Frist aufgrund der Corona-Pandemie auf 21 Monate verlängerte. Nach § 238 Abs. 1a AO beträgt der Zinssatz ab dem 1.1.2019 0,15 % pro Monat, also 1,8 % pro Jahr. Das Finanzamt setzte daher die Zinsen korrekt auf 32 EUR fest.
  • Kein Verstoß gegen Unionsrecht: Die Klägerin bezog sich auf die EU-Richtlinie 2008/9 EG, die jedoch nur für grenzüberschreitende Sachverhalte gilt, wenn der Steuerpflichtige im EU-Ausland ansässig ist. Da die Klägerin im Mitgliedstaat der Erstattung ansässig ist, ist diese Richtlinie hier nicht anwendbar.
  • Kein abweichender Zinslauf oder Zinssatz gemäß Art. 183 MwStSystRL: Ein höherer Zinssatz oder ein früherer Beginn des Zinslaufs lassen sich nicht aus Art. 183 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie in Verbindung mit der EuGH-Rechtsprechung ableiten.
  • Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität: Die nationalen Vorschriften (§§ 233a und 238 AO) entsprechen den unionsrechtlichen Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität, da sie weder ungünstiger sind als bei ähnlichen Forderungen noch die Ausübung von Unionsrechten praktisch unmöglich machen.
  • Vollverzinsung mit einheitlichem Steuersatz: Die Vollverzinsung nach § 233a AO behandelt Nachforderungen und Erstattungen gleich und ist unionsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch das BVerfG (Beschluss v. 8.7.2021 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) hat das Prinzip der Vollverzinsung und die Bemessung des Zinssatzes von 1,8 % pro Jahr für das Jahr 2019 als verfassungsgemäß erachtet.

FG Baden-Württemberg, Urteil v. 8.2.2024, 12 K 1476/23, veröffentlicht am 20.8.2024


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