Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung des Kindergelds wegen Überschreitens der verlängerten Altersgrenze
Leitsatz (redaktionell)
- Der Wegfall des Kindergeldanspruchs aufgrund veränderter tatsächlicher Umstände begründet die rückwirkende Änderung bzw. Aufhebung der Kindergeldfestsetzung, unabhängig davon, ob die Veränderung absehbar war (hier im Fall des Überschreitens der Altersgrenze) oder überraschend erfolgt ist (entgegen Urteil des FG Sachsen-Anhalt vom 6. März 2012 4 K 1484/10, EFG 2012, 1479).
- Dass die Familienkasse zwischenzeitlich trotz Kenntnis von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, Kindergeld weitergezahlt hat, hindert die rückwirkende Aufhebung und Rückforderung nicht.
- Die Rückforderung kann nur dann gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn dem Verhalten der Familienkasse eindeutig die konkludente Zusage zu entnehmen ist, dass der Kindergeldempfänger auch unter Berücksichtigung der veränderten Umstände mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen brauche.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 2; AO § 37 Abs. 2; BGB § 818 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger bezog Kindergeld u.a. für seinen Sohn „A” (geboren im Juni 1984) – im Folgenden: A. A absolvierte nach dem Besuch des Berufskollegs den Zivildienst (Oktober 2003 bis Juli 2004), begann sodann ein Studium (zunächst Maschinenbau, dann VWL) und meldete sich nach dem Abbruch des Studiums seit März 2007 bei der Berufsberatung als Bewerber um einen Ausbildungsplatz. Daraufhin setzte die Beklagte – die Familienkasse gegenüber dem Kläger ab April 2007 weiterhin Kindergeld für A fest (Bescheid vom 4.04.2007).
Ab November 2007 stellte die Familienkasse die Kindergeldzahlung für A ein, nachdem A seit Mitte Oktober 2007 eine Arbeitsstelle angetreten hatte. Das Arbeitsverhältnis wurde allerdings innerhalb der Probezeit zum Ende März 2008 gekündigt. Da A anschließend ausbildungssuchend gemeldet war, setzte die Familienkasse gegenüber dem Kläger ab April 2008 erneut Kindergeld für A fest (Bescheid vom 27.05.2008). Der Bescheid enthält den Hinweis, dass der Kläger jede Änderung in den Verhältnissen, die für den Kindergeldanspruch von Bedeutung sind (insbesondere Aufnahme einer Beschäftigung, Antritt einer Ausbildung), unverzüglich anzuzeigen habe. Die Familienkasse vermerkte in ihrem Computersystem: „Befristungsgrund: T: Ausb.suche/ Vollendung 25.Lj”. Da allerdings das Geburtsjahr des A falsch eingegeben worden war („1994” statt 1984), kam es in der Folgezeit nicht zu Wiedervorlagen des Falles; Kindergeld für A wurde bis September 2011 ausgezahlt.
Im September 2011 fragte die Ehefrau des Klägers telefonisch bei der Familienkasse an, warum Kindergeld für A über das 27. Lebensjahr hinaus gewährt werde. Daraufhin prüfte die Familienkasse, ob A in der Vergangenheit einen Kindergeldtatbestand verwirklicht habe, und gab dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme. Für den Zeitraum bis April 2010 ergab sich, dass ein Kindergeldanspruch bestanden hatte: A hatte sich ab April 2008 um eine Ausbildung bemüht und schließlich im September 2009 ein erneutes Studium begonnen; seine Einkünfte und Bezüge lagen jeweils unter dem schädlichen Grenzbetrag. Die Altersgrenze für den Kindergeldbezug war über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus um 10 Monate (Dauer des Zivildienstes) verlängert. Mit Bescheid vom 16.02.2012 bezeichnet als „Erstattungsbescheid gem. § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO)” forderte die Familienkasse gezahltes Kindergeld für Mai 2010 bis September 2011 in Höhe von 3.128 EUR zurück. Zur Begründung gab sie an, Kindergeld sei für den Zeitraum ab Mai 2010 durch einen offensichtlichen Fehler ohne Rechtsgrund gezahlt worden und deshalb vom Kläger zu erstatten.
Hiergegen erhob der Kläger Einspruch und trug vor, es sei nicht sein Verschulden, dass die Familienkasse seinen Sohn um 10 Jahre jünger gemacht habe. Deshalb sehe er nicht ein, das Kindergeld zurückzuzahlen.
Die Familienkasse wies den Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 01.03.2012). Zur Begründung erläuterte sie, dass ab Mai 2010 ein Kindergeldanspruch für A wegen Überschreitens der verlängerten Altersgrenze nicht mehr bestanden habe. Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung sei § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG); Rechtsgrundlage für die Berichtigung der bisherigen Festsetzung sei § 129 AO, wonach die Finanzbehörde Schreibfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten jederzeit berichtigen können. Der Erstattungsanspruch ergebe sich aus § 37 Abs. 2 AO, weil eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt worden sei. Ein Kindergeldanspruch habe nicht mehr bestanden und die Kindergeldfestsetzung sei deshalb insoweit aufgehoben worden. Hieraus folge der Rückforderungsanspruch.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Er trägt vor, er habe die Kindergeldanträge stets richtig ausgefüllt, insbesondere das Geburtsdatum seines Sohnes A zutreffend angegeben. Ein etwaiger Fehler sei alleine der Familienkasse anzulasten und liege ...