vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt bei Abbruch der Schulausbildung
Leitsatz (redaktionell)
Die Behinderung eines blinden Kindes (GdB von 100 und Merkzeichen H und Bl), das ALG II bezieht und dessen behinderungsbedingter Mehrbedarf durch das Blindengeld abgedeckt ist, ist für die fehlende Möglichkeit zum Selbstunterhalt nicht i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG ursächlich, wenn es – nach gutachterlicher Feststellung - trotz seiner Behinderung in der Lage ist, eine vollschichtige Berufstätigkeit auszuüben, und die maßgebliche Ursache für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt vielmehr in der - durch Geburten eigener Kinder und Erziehungszeiten, nicht aber durch Einschränkungen intellektueller Art bedingten - vorzeitigen Beendigung der u.a. das Erlernen der Blindenschrift beinhaltenden Schulausbildung liegt.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3
Nachgehend
Tatbestand
Die am 13.08.1989 geborene behinderte Klägerin begehrt die Festsetzung von Kindergeld zugunsten ihres Vaters, den der Senat mit Beschluss vom 15.03.2013 beigeladen hat.
Nach dem Bescheid des Versorgungsamtes der Stadt ..vom 19.05.2008 besteht bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie u.a. die Merkzeichen Bl, H, G und B. Die Klägerin, die bis Juli 2009 eine Blindenschule ohne Abschluss besucht hat, ist selbst Mutter dreier Kinder, die im Februar 2010, Februar 2011 und Oktober 2012 geboren sind.
Im Bescheid vom 05.06.2009 bestimmte die Beklagte die Klägerin zur Abzweigungsberechtigten hinsichtlich des Kindergeldanspruches des beigeladenen Vaters. Nach einer Aufhebung der Kindergeldfestsetzung im Bescheid vom 31.03.2010 gegenüber dem Beigeladenen ab Mai 2010 stellte die Klägerin am 29.06.2010 einen Antrag auf Auszahlung des Kindergeldes unter Hinweis darauf, dass ihr Vater sowie ihre Mutter keinen Unterhalt an sie leisteten.
Auf Anfrage der Beklagten teilte die Agentur für Arbeit, Team Reha-SB in einer Stellungnahme vom 05.10.2010 mit, dass die Klägerin nach den vorhandenen Unterlagen in der Lage sei, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe und laufend ALG II beziehe.
Mit Bescheid vom 16.11.2010 lehnte die Beklagte gegenüber dem Beigeladenen eine Festsetzung von Kindergeld mit der Begründung ab, die Behinderung der Klägerin sei nach den vorliegenden Unterlagen nicht ursächlich dafür, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten könne. Eine Ausfertigung des Bescheides übersandte die Beklagte der Klägerin.
Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin unter dem 15.12.2010 Einspruch ein und trug zur Begründung vor, dass sie aufgrund ihrer Sehbehinderung nicht in der Lage sei, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Die Beklagte wies den Einspruch in der an die Klägerin gerichteten Einspruchsentscheidung vom 23.05.2011 als unbegründet zurück und führte aus: Zwar sei im Behindertenausweis der Klägerin das Merkmal H eingetragen. Nach der Stellungnahme des Teams Reha-SB sei die Klägerin jedoch in der Lage, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Die Arbeitsvermittlung sowie die Klägerin selbst seien damit offenkundig selbst der Ansicht, dass eine Erwerbsfähigkeit vorliege. Demzufolge beziehe die Klägerin auch Leistungen für Erwerbsfähige nach dem 2. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB) und keine Leistungen für Erwerbsunfähige nach dem SGB XII. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Behinderung und der Unfähigkeit, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, welche die Deckung des Lebensbedarfs ermögliche, könne deshalb nicht festgestellt werden.
Gegen die Einspruchsentscheidung hat die Klägerin unter dem 24.06.2011 Klage erhoben und trägt vor: Entgegen den Ausführungen der Beklagten schließe die Tatsache des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht aus. Die Einschätzung des Jobcenters zur Zumutbarkeit einer Arbeitsaufnahme sei für das vorliegende Verfahren rechtlich nicht bindend. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) müsse die Behinderung nicht die alleinige Ursache dafür sein, dass ein Kind außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Die theoretische Möglichkeit, dass das behinderte Kind am allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln sei, reiche nicht aus, um die für den Kindergeldanspruch ausreichende Mitursächlichkeit der Behinderung auszuschließen. Entscheidend sei die konkrete Bewertung der jeweiligen Situation des behinderten Kindes. Der Bezug von ALG II könne allenfalls ein Indiz für die ...