Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Betriebsaufgabe durch Wohnsitzverlegung nach Belgien
Leitsatz (redaktionell)
1) Es liegt keine Betriebsaufgabe vor, wenn ein selbständig tätiger Erfinder sein Einzelunternehmen nach Verlegung seines Wohnsitzes nach Belgien von Belgien unverändert weiterführt.
2) Die Annahme einer Betriebsaufgabe mit Sofortbesteuerung ist vor dem Hintergrund, dass im reinen Inlandsfall eine Besteuerung nicht erfolgt wäre, nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 3, § 18 Abs. 3; EGV Art. 43; EStG § 16 Abs. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger (Herr I) wurde im Streitjahr zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt und erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Erfinder. Gleichzeitig war er Alleingesellschafter der I-GmbH in B und seit März 1995 zu 95 % Gesellschafter der I-GmbH in A/Schweiz. Seine Einkünfte als Erfinder erzielte der Kläger dadurch, dass er seine in seinem Einzelunternehmen gemachten Erfindungen u. a. diesen beiden Gesellschaften sowie anderen Unternehmen zur Nutzung überließ.
Am 09.08.1995 verlegte der Kläger seinen Wohnsitz nach Belgien, wo er sein Einzelunternehmen unverändert weiterführte. Im Rahmen einer u.a. für das Streitjahr durchgeführten Außenprüfung vertrat der Betriebsprüfer die Auffassung, der Umzug des Klägers nach Belgien habe zu einer Aufgabe seines Einzelunternehmens geführt. Dementsprechend wurde beim Kläger, der seinen Gewinn bisher durch Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt hatte, ein steuerbegünstigter Betriebsaufgabegewinn in Höhe von 50.000,– DM festgestellt. Zusätzlich ermittelte der Prüfer im Hinblick auf den Wechsel der Gewinnermittlungsart einen Übergangsgewinn, beruhend auf Forderungen aus Lizenzverträgen mit der deutschen GmbH sowie einer englischen Firma, die vor dem Umzug nach Belgien am 09.08.1995 entstanden waren.
Die insoweit im Rahmen des Übergangsgewinns zu erfassenden Einnahmen wurden wie folgt ermittelt:
Forderungen lt. Tz. 14 Bp-Bericht |
485.747,18 DM |
Abzügl. Verzicht (Tz. 14 Bp-Bericht) |
140.747,18 DM |
Verbleiben |
345.000,00 DM |
Davon entstanden bis 8/95 (7/12) |
201.250,00 DM |
Lizenzeinnahmen England, entstanden bis 8/95 (Tz. 16 Bp-Bericht) |
111.000,00 DM |
Übergangsgewinn |
312.250,00 DM |
Im Einzelnen wird auf die Ausführungen im BP-Bericht vom 20.12.2000 verwiesen.
Mit Einkommensteuerbescheid vom 3.4.2001, in Gestalt des wegen eines Fehlers bei der Berechnung des Übergangsgewinns geänderten Bescheides vom 19.6.2001, wurde die Einkommensteuer für das Streitjahr auf 279.380,– DM festgesetzt. Mit Bescheid vom 10.6.2002 wurde die Einkommensteuer 1995 während des Einspruchsverfahrens erneut aus hier nicht streitigen Gründen geändert. Mit Einspruchsentscheidung vom 6.7.2004 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Mit seiner hiergegen geführten Klage begehrt der Kläger weiterhin die Nichtberücksichtigung sowohl des Betriebsaufgabe- als auch des Übergangsgewinns. Der Kläger ist der Auffassung, dass für eine solche Besteuerung bereits nach nationalem Steuerrecht keine Rechtsgrundlage bestehe und die Besteuerung überdies gegen Europarecht verstoße.
Er trägt vor, sein Wegzug in das EU-Ausland Belgien habe nicht zu einer Betriebsaufgabe geführt. Weder sei eine Betriebsaufgabe unter Zugrundelegung der allgemeinen Begriffsbestimmung in §§ 16 Abs. 3 18 Abs. 3 EStG gegeben, noch sei eine Betriebsaufgabe bei extensiver Auslegung oder in analoger Anwendung dieser Vorschriften zu bejahen. Weder habe er den Entschluss gefasst, den Betrieb aufzugeben, noch habe er die bisher in diesem Betrieb entfaltete Tätigkeit endgültig eingestellt. Weder habe er die wesentlichen Betriebsgrundlagen veräußert oder in das Privatvermögen überführt, noch habe der Betrieb als selbständiger Organismus des Wirtschaftswesens zu bestehen aufgehört. Der Betrieb habe auch nach Wohnsitzverlegung als selbständiger Organismus des Wirtschaftslebens unverändert fortbestanden. Da der Betrieb im Ausland unverändert fortgeführt worden sei, könne selbst eine extensive Auslegung des Begriffs der „Aufgabe” nicht zu einer Anwendung des § 16 Abs. 3 EStG auf den Streitfall führen. Eine Anwendung des § 16 EStG auf die Fälle der sog. Entstrickung wäre allenfalls im Wege der Analogie denkbar. Insoweit fehle es jedoch an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe mit § 12 KStG und § 6 AStG ausdrückliche Spezialregelungen für Fälle der Steuerentstrickung aufgrund Auslandsverlagerung geschaffen. Im Einkommensteuerrecht in der im Streitjahr geltenden Fassung hätten derartige Regelungen gefehlt. Eine entsprechende Anwendung des § 16 EStG führe insoweit zu einer unzulässigen steuerverschärfenden Analogie. Mangels Betriebsaufgabe habe ein Wechsel in der Gewinnermittlungsart nicht stattgefunden. Eine Bilanzierungspflicht nach § 16 Abs. 2 EStG sei demnach nicht begründet worden und ein Übergangsgewinn sei nicht zu ermitteln gewesen.
Diese Auffassung sehe er, der Kläger, bestätigt durch das Ur...