Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Berechnung der Fahrten zwischen Lebensmittelpunkt und betrieblicher Ausbildungsstätte nach Entfernungspauschalenmaßstab. Gleichstellung von Hochschule und Ausbildungsstätte hinsichtlich des Kriteriums der fehlenden regelmäßigen Arbeitsstätte. Grenzbetragsberechnung für Kindergeldanspruch. Einspruchsführer bei Einlegung des ursprünglichen Einspruchs gegen einen Kindergeldaufhebungsbescheid durch das Kind
Leitsatz (redaktionell)
1. Unter Berücksichtigung der jüngsten – geänderten – Rechtsprechung des BFH zu der Frage, wann bei der Geltendmachung von Fahrtkosten als Werbungskosten für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte eine regelmäßige Arbeitsstätte vorliegt (BFH v. 9.2.2012, VI R 44/10), erscheint ernstlich zweifelhaft i. S. d. § 69 FGO, ob der Aufwand eines volljährigen Kindes für Fahrten zwischen seinem Lebensmittelpunkt, der elterlichen Wohnung, und seiner betrieblichen Ausbildungsstätte lediglich mit der Entfernungspauschale gem. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG zu ermitteln ist. Die Aufwendungen könnten nunmehr gem. § 9 Abs. 1 S. 1 EStG in tatsächlicher Höhe anzusetzen sein. Zwischen den Fahrten zu einer Universität oder zu einem Ausbildungsbetrieb ist unter dem Aspekt einer vorübergehenden Tätigkeit nicht zu unterscheiden.
2. Die innerhalb der Einspruchsfrist abgegebene Erklärung eines Kindergeldberechtigten „den Einspruch aufrechtzuerhalten”, ist dahin auszulegen, dass sich dieser den vom volljährigen Kind eingelegten Einspruch inhaltlich zu eigen macht und zugleich die Einspruchseinlegung durch das Kind auch in seinem Namen nachträglich genehmigt.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 4, § 32 Abs. 4 Sätze 3, 2; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; AO § 355 Abs. 1, § 350; BGB §§ 133, 157; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1
Tenor
Die Vollziehung des Kindergeldbescheides vom 13.2.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.3.2012 wird bis zum Ablauf von einem Monat nach der Zustellung einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren 1 K 126/12 ausgesetzt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 184,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Streitig ist Kindergeld für die Zeit von März bis Dezember 2011.
Die Antragstellerin bezog für den in ihrem Haushalt in T., lebenden, am …02.1993 geborenen Sohn (S) Kindergeld. S begann am 1.9.2009 eine voraussichtlich 2013 endende Berufsausbildung zum … bei der Hochschule in W. In W hatte S eine Wohnung für monatlich 290,00 EUR gemietet. Nebenkosten der Wohnung gab er mit 29,00 EUR monatlich an. Die einfache Entfernung zwischen der Wohnung der Antragstellerin in T und der Ausbildungsstelle des S in W betrug nach den Angaben der Antragstellerin 100 km.
Am 3.1.2011 beantragte die Antragstellerin die Weiterzahlung des Kindergeldes für den im Februar 2011 volljährig werdenden S. Unter dem 7.2.2011 ging bei der Antragsgegnerin eine Erklärung zum Ausbildungsverhältnis des S und zu dessen Einkünften ein. Danach bezog S seit September 2010 eine Bruttoausbildungsvergütung i. H. v. monatlich 754,42 EUR, davon betrug der Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung (AN-Ant. SV) 152,58 EUR; ab September 2011 sollte die Ausbildungsvergütung 801,05 EUR und der AN-Ant. SV 162,01 EUR betragen. Für November 2011 war eine Sonderzuwendung von 572,75 EUR, davon AN-Ant. SV 115,84 EUR, vorgesehen. S bezog daneben Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) i. H. v. 122,60 EUR monatlich. Er machte Werbungskosten i. H. v. 4.738,50 EUR (ab März 2011 34 Heimfahrten × 100 km × 0,30 EUR × 2 = 2.040 EUR; Kontoführungsgebühr ab März anteilig pauschal 12,00 EUR (von 16,00 EUR jährlich); Arbeitsmittelpauschale ab März anteilig 76,50 EUR (von 102,00 EUR jährlich); doppelte Haushaltsführung in W.: 2.610,00 EUR Miete für 9 Monate) geltend. Daraufhin erstellte die Antragsgegnerin am 5.4.2011 eine vorausschauende Berechnung der Einkünfte und Bezüge des S für 2011. Sie prognostizierte unter Berücksichtigung von Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Ausbildungsstätte i. H. v. 1.020,00 EUR (34 Heimfahrten × 100 km × 0,30 EUR), dass S die Einkommensgrenze von anteilig 6.670,00 EUR (10/12 von 8.004,00 EUR) für die Zeit von März – Dezember 2011 mit der Summe aller Einnahmen für März – Dezember 2011 i. H. v. 6.603,96 EUR unterschreiten werde und zahlte das Kindergeld weiterhin aus. Auf die Berechnung vom 5.4.2011, (Bl. 27 Kindergeldakte) wird Bezug genommen.
Die Antragstellerin erklärte unter dem 10.1.2012 erneut die Einkünfte und Bezüge des S u. a. für 2011. Danach hatte S neben der BAB i. H. v. 122,60 EUR monatlich tatsächlich folgende Ausbildungsvergütung erhalten: Januar – März 2011: 754,42 EUR Bruttomonatsentgelt; davon 152, 49 EUR AN-Ant. SV; April – August 2011: 765,74 EUR Bruttomonatsentgelt; davon 154,79 EUR AN-Ant. SV; September – Dezember 2011: 813,07 EUR Bruttomonatsentgelt, davon 164,34 EUR AN-Ant. SV. Mai 2011: Einmalzahlung i. H. v. 120,00 EUR, davon 24,25 EUR AN-Ant. SV; November 2011: Jahressonderzahlung i. ...