Entscheidungsstichwort (Thema)
LSt-Haftungsbescheid. Arbeitgebereigenschaft eines Betriebsleiters. Übernahme der Feststellungen des Strafgerichts
Leitsatz (redaktionell)
Das FG kann mangels substantiierter Einwände die Feststellungen des Strafgerichts übernehmen und von der Arbeitgebereigenschaft eines als „Betriebsleiter” Aufgetretenen ausgehen.
Normenkette
EStG § 42d; AO § 71
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Streitig ist im Einspruchsverfahren, ob der Antragsteller vom Antragsgegner – dem Finanzamt (FA) – zu Recht als Arbeitgeber bzw. als für den Arbeitgeber handelnde Person für nicht einbehaltene oder abgeführte Lohnsteuern mit Haftungsbescheid vom 9. Januar 2012 in Anspruch genommen worden ist.
Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf das Urteil des Amtsgerichts München vom 20. März 2011 Bezug genommen, in dem der Antragsteller unter anderem wegen Vorenthaltens und Veruntreuung von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden ist. Danach hat der Antragsteller unter Einschaltung der X OHG (OHG) im Zeitraum Juli 2007 bis Ende August 2008 diverse Bauaufträge ausgeführt und selbst als Arbeitgeber polnische Arbeitnehmer beschäftigt.
Der Antragsteller trägt mit seinem AdV-Antrag an das Gericht – wie schon vor dem Strafgericht – vor, er sei lediglich Betriebsleiter der OHG gewesen und daher nicht selbst Arbeitgeber.
Die Antragsteller beantragen,
die Vollziehung des Haftungsbescheides vom 9. Januar 2012 wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der Einlassungen des FA wird auf dessen Stellungnahme vom 14. April 2012 verwiesen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Der Antrag der Antragstellerin zu 2) ist mangels Beschwer unzulässig. Sie ist nicht Adressat des streitgegenständlichen Haftungsbescheides und daher rechtlich von ihm nicht betroffen. Dass das FA irrtümlich den Antrag auf AdV auch gegenüber der Antragstellerin zu 2) abgelehnt hat, beschwert die Antragstellerin als Nicht-Adressatin des Ausgangsbescheides nicht.
2. Der Antrag des Antragstellers zu 1) ist unbegründet.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) bestehen nach Aktenlage nicht.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei überschlägiger Prüfung anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, dagegen sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist bereits dann begründet, wenn ein nicht nur geringer Grad von Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der gegen den Verwaltungsakt eingelegte Rechtsbehelf Erfolg haben wird (Bundesfinanzhof-BFH-Urteil vom 7. Juni 1994 IX R 141/89, BStBl II 1994, 756; BFH-Beschlüsse vom 15. Januar 1998 IX B 25/97, BFH/NV 1998, 994; vom 25. August 1998 II B 25/98, BStBl II 1998, 674; vom 23. Juli 1999 VI B 116/99, BStBl II 1999, 684).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.
Der angefochtene Haftungsbescheid verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508, und Senatsurteil vom 4. Oktober 1988 VII R 53/85, BFH/NV 1989, 274, 275). Das FA hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind (hierzu unten a.). Dabei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) zu treffende Ermessensentscheidung des FA an, ob und wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will (hierzu unten c.). Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar.
a. Haftungstatbestand
Nach § 42d Einkommensteuergesetz (EStG) haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Im Streitfall war der Antragsteller bei der im AdV-Verfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Beurteilung Arbeitgeber der polnischen Arbeiter.
Das Strafgericht hat in seinem Urteil, das aufgrund einer Hauptverhandlung von sieben Tagen Dauer ergangen ist, festgestellt, dass die OHG lediglich zum Schein vorgeschoben worden war und tatsächlich der Antragsteller Arbeitgeber der polnischen Arbeiter war. Dabei hat sich das Gericht mit der auch jetzt erhobenen Einlassung des Antragstellers auseinandergesetzt, er sei lediglich angestellter Bauleiter der...