Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahlrecht auf rückwirkende Anwendung des am 1.1.2009 in Kraft getretenen Erbschaftsteuergesetzes nur bis zum 30.6.2009 zulässig. auch keine Wiedereinsetzung in die Frist zur Option zur rückwirkenden Anwendung
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Wahlrecht nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 ErbStRG auf rückwirkende Anwendung des ErbStG 2009 auf Erwerbe von Todes wegen, für die die Steuer nach dem 31.12.2006 und vor dem 1.1.2009 entstanden ist, konnte zulässigerweise nur bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung, spätestens aber bis zum 30.6.2009 ausgeübt werden. Auch wenn die Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung erst nach dem 30.6.2009 eingetreten ist, ergab sich daraus kein (nachträgliches) Wahlrecht.
2. Die Frist des 30.6.2009 galt nicht nur im Rahmen eines Antrags auf rückwirkende Anwendung des ErbStG n. F. nach Art. 3 Abs. 2 ErbStRG, sondern auch bei einem Antrag auf rückwirkende Anwendung des ErbStG n.F. nach Art. 3 Abs. 1 ErbStRG.
3. Bei Art. 3 Abs. 1 ErbStRG handelt es sich um eine Ausschlussfrist, die nach ihrem Zweck aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens durch absolute Fristenstrenge gekennzeichnet ist und für die grundsätzlich keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann.
Normenkette
ErbStRG § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 6 Abs. 3; AO § 110 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Erbschaftsteuerbescheides.
Der 2007 verstorbene Erblasser W. wurde von seinem Sohn, dem Kläger, allein beerbt. Die Mutter des Klägers, Frau W., hatte die Erbschaft mit Erklärung vom 12. März 2008 ausgeschlagen und vom Kläger hierfür eine Abfindung erhalten.
Mit Schreiben vom 19. August 2008 forderte der Beklagte (das Finanzamt – FA –) den Kläger auf, eine Erbschaftsteuererklärung abzugeben. Die Erbschaftsteuererklärung ging am 16. Oktober 2008 beim FA ein.
Mit Erbschaftsteuerbescheid vom 10. März 2009 setzte das FA gegen den Kläger Erbschaftsteuer i.H.v. 160.151 EUR fest (Wert des Erwerbs 1.762.229 EUR abzügl. Freibetrag § 13 a Abs. 1 des bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes – ErbStG a.F. – 225.000 EUR abzügl. Abschlag § 13a Abs. 2 ErbStG a.F. 621.070 EUR zzgl. Vermögen aus Vorerwerben 131.750 EUR abzügl. Freibetrag § 16 ErbStG a.F. 205.000 EUR, Steuerklasse I, Steuersatz 19 %). Der Bescheid erging vorläufig hinsichtlich der Steuerberatungs- und Erbscheinkosten.
Den „vorsorglich” eingelegten Einspruch vom 27. März 2009 begründete der Kläger trotz mehrfacher Aufforderung durch das FA nicht.
Mit Einspruchsentscheidung vom 10. November 2009 wies das FA den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Nach Klageerhebung setzte das FA mit gem. §§ 165 Abs. 2 Satz 1, 173 der Abgabenordnung (AO) geändertem Bescheid vom 18. Juli 2011 die gegen den Kläger festgesetzte Erbschaftsteuer auf 167.846 EUR herauf (Wert des Erwerbs 1.802.774 EUR abzügl. Freibetrag § 13 a Abs. 1 ErbStG a.F. 225.000 EUR abzügl. Abschlag § 13a Abs. 2 ErbStG a.F. 621.070 EUR zzgl. Vermögen aus Vorerwerben 131.750 EUR abzügl. Freibetrag § 16 ErbStG a.F. 205.000 EUR, Steuerklasse I, Steuersatz 19 %). Der Bescheid erging weiterhin vorläufig hinsichtlich der Steuerberatungskosten.
Nach Klageerhebung setzte das FA mit gem. § 129 AO berichtigtem Bescheid vom 20. Oktober 2011 die gegen den Kläger festgesetzte Erbschaftsteuer auf 164.274 EUR herab (Wert des Erwerbs 1.784.001 EUR abzügl. Freibetrag § 13a Abs. 1 ErbStG a.F. 225.000 EUR abzügl. Abschlag § 13a Abs. 2 ErbStG a.F. 621.070 EUR zzgl. Vermögen aus Vorerwerben 131.750 EUR abzügl. Freibetrag § 16 ErbStG a.F. 205.000 EUR, Steuerklasse I, Steuersatz 19 %). Der Bescheid erging nach § 165 Abs. 2 AO endgültig.
Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2009 erhob der Kläger Klage. Im Rahmen der mit Schriftsatz vom 31. März 2010 vorgetragenen Klagebegründung stellte der Kläger den Antrag auf Anwendung der Regelungen des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der ab dem 1. Januar 2009 geltenden Fassung (ErbStG n.F.) nach Art. 3 Abs. 1 des Erbschaftsteuerreformgesetzes (ErbStRG), insbesondere im Hinblick auf die Anwendung der Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen gem. § 13a ErbStG n.F. Bei Anwendung des ErbStG n.F. auf den Streitfall betrage der steuerpflichtige Erwerb des Klägers nur 498.011 EUR statt 864.600 EUR. Den Antrag habe er auch rechtzeitig gestellt, weil die Steuerfestsetzung bei Antragstellung noch nicht unanfechtbar gewesen sei. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ErbStRG bestimme, dass der Erwerber bei einem Erwerb von Todes wegen bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung beantragen könne, dass das ErbStG n.F. auf einen zwischen dem 31. Dezember 2006 und 1. Januar 2009 eingetretenen Erbfall anzuwenden sei. Eine weitere zeitliche Befristung sei für diesen Fall nicht vorgesehen. Nur für den Fall, dass die Steuer – anders als im Streitfall – bereits ...