Entscheidungsstichwort (Thema)
Abtrennung von Vorerbschaft und Nießbrauchsvermächtnis
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Frage, ob ein Erblasser seine Ehefrau als Vorerbin oder nur als Nießbrauchsvermächtnisnehmerin eingesetzt hat, ist durch Auslegung der letztwilligen Verfügung gemäß § 2084 BGB zu klären; hierbei ist nicht nach wirtschaftlichen, sondern nach rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden.
2. Der Umstand, dass der Erblasser seine Ehefrau nicht von den Beschränkungen der Vorerbschaft nach §§ 2112 ff BGB
befreit und zudem eine Dauerverwaltungstestamentsvollstreckung (§ 2209 BGB) (hier von 10 Jahren) angeordnet hat, rechtfertigt noch keine Auslegung der Anordnung als Nießbrauchsvermächtnis. Dies gilt auch, wenn der Vorerbin nicht die gesamten Erträge, sondern nur der zum Lebensunterhalt benötigte Teil zusteht.
3. Die Besteuerung des Erwerbs eines Vorerben als Erbe des Nachlasses (§ 6 Abs. 1 ErbStG) verstößt nicht gegen Art. 3 und 14 GG.
Normenkette
ErbStG § 6 Abs. 1, § 20 Abs. 4; BGB §§ 2084, 2112 ff.; GG Art. 3, 14
Gründe
I.
Streitig ist, ob eine Vorerbin so zu besteuern ist, als wäre sie nur Nießbrauchsvermächtnisnehmerin geworden mit der Folge, daß die Klägerinnen (Kl) statt als Nacherben sofort als Erben zu besteuern wären.
Am 9. Dezember 1992 verstarb Herr X (Erblasser). Mit notariellem Testament vom 6. Juli 1987 setzte er seine Ehefrau, Y nachverstorben am 13. August 1993, zur alleinigen nicht befreiten Vorerbin ein. Diese nahm die Erbschaft an. Zu Nacherben bestimmte der Erblasser die Kl (Frau A 6/10, Frau B und Frau C je 2/10). Der Erblasser ordnete Testamentsvollstreckung an, dauernd bis zum Ablauf von 10 Jahren nach Eintritt der Nacherbfolge (= Tod der Vorerbin). In der vom Testamentsvollstrecker (TV) abgegebenen Erbschaftsteuererklärung vom 20. Oktober 1994 verwies dieser bei den „Angaben über die Erben” darauf, daß die Ehefrau „im Testament als Vorerbe bezeichnet” und die Kl „im Testament als Nacherbe bezeichnet” seien.
Die Erträge aus dem Nachlaß sind nach Bestimmung des Erblassers, soweit sie nicht von der Vorerbin zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes in Anspruch genommen werden, nach Abzug der jährlichen Entschädigung an den TV und nach Erfüllung der Vermächtnisansprüche jeweils an die Nacherben entsprechend ihrer Erbanteile jährlich zum Jahresende auszuzahlen. Der TV sollte mindestens jährlich eine Bilanz des Nachlasses erstellen und sie der Vorerbin vorlegen. Den Nacherben hatte der TV erst bei Auflösung des Nachlasses eine Aufstellung über den Nachlaß einschließlich der erwirtschafteten Erträge vorzulegen. Die Auflösung des Nachlasses sollte frühestens nach Ablauf von zehn Jahren, vom Tode der Vorerbin an gerechnet, erfolgen.
Der Beklagte (Finanzamt = FA) ging, entsprechend dem Testament, im Erbfall des Erblassers davon aus, daß Frau Y Vorerbin geworden sei. Im Erbschaftsteuerbescheid vom 2. Dezember 1994 (Bl. 67 FA-Akte) rechnete es seinen Nachlaß daher in vollem Umfang der Vorerbin zu und setzte die Erbschaftsteuer auf 291.888 DM fest. Die Bekanntgabe erfolgte gemäß § 32 Abs. 1 ErbStG an den TV mit Wirkung für die unbekannten Erben nach Frau Y, diese vertreten durch Herrn.... als Nachlaßpfleger. Deren Erben stehen nunmehr fest (s. Erbschein des Amtsgerichts vom 20. März 1996, Bl. 171 FA-Akte, u. a. Frau A zu 18/96). Gegen diesen Bescheid legten die Kl Einspruch ein mit der Begründung, daß Frau Y nicht als Vorerbin anzusehen sei.
Das FA vertrat die Auffassung, daß die Einsprüche der Kl, Frau B und Frau C (Kl zu 2 und 3), unzulässig seien, weil sie nicht Erben der Vorerbin geworden seien.
Mit auch den Hinzugezogenen bekanntgegebener (Bl. 21 FA-Akte III) Einspruchsentscheidung vom 4. Dezember 1996 (Bl. 6 FA-Akte III), auf die vorab Bezug genommen wird, verband das FA die gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom 2. Dezember 1994 und die Ablehnung der abweichenden Steuerfestsetzung nach § 163 AO eingelegten Einsprüche zur gemeinsamen Entscheidung und wies beide Einsprüche als unbegründet zurück. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben und der Steuerbescheid teilweise für vorläufig erklärt.
Mit ihrer Klage beantragen die Kl, den Erbschaftsteuerbescheid vom 2. Dezember 1994 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Dezember 1996 aufzuheben, hilfsweise die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Sie sind der Auffassung, daß Frau Y nicht Vorerbin geworden sei; denn das Wesen der Vorerbschaft bestehe darin, daß nach dem Willen des Erblassens dem, Vorerben die – wenn auch eingeschränkte – Möglichkeit zukomme, über das Nachlaßvermögen zu verfügen. Damit stehe dem Vorerben eine weitere Befugnis zu, als einem Nießbraucher. Aber selbst bei einer echten Vorerbschaft sei der Nacherbe als der eigentliche Erbe anzusehen.
Das Testament müsse trotz der Wortwahl des Erblassers dahingehend ausgelegt werden, daß an der Vorerbin lediglich den Lebensunterhalt habe zuwenden wollen. Diese habe die Erbschaft angenommen, ohne sich über die Folgen klar gewesen zu sein. Die Vorerbin sei nie wir wirtschaf...