Entscheidungsstichwort (Thema)

Durch antragsgemäße Kindergeldauszahlung nicht zugleich auch Ablehnung für die Vorzeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1) In der schlichten Auszahlung von Kindergeld ohne einen Bewilligungsbescheid liegt kein Verwaltungsakt, mit dem eine Bewilligung von Kindergeld für die Vorzeit abgelehnt worden wäre (Abweichung von FG Rheinland-Pfalz v. 14.7.2009 - 5 K 1302/08; v. 28.8.2008 - 5 K 1301/08).

2) Sieht die Kindergeldkasse in den Fällen des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG von einer schriftlichen Bescheiderteilung ab, so setzt sie das Kindergeld - in der Regel - formlos fest, wobei in der ersten Auszahlung der Festsetzungsbescheid zu sehen ist.

3) Ein fristgerecht gestellter Antrag auf Zahlung von Kindergeld löst eine Ablaufhemmung für die Festsetzung aus, und zwar ohne eine zeitliche Beschränkung auch für die Vergangenheit, wenn im verwendeten Antragsformularvordruck keine Rubrik für die Frage der zeitlichen Ausdehnung des beantragten Kindergelds vorgesehen ist.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 2 Nr. 3, § 70 Abs. 1 Sätze 1-2; AO § 119 Abs. 2; EStG § 62 Abs. 2 Nr. 2c

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 20.06.2012; Aktenzeichen V R 56/10)

BFH (Urteil vom 20.06.2012; Aktenzeichen V R 56/10)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob durch die Auszahlung von Kindergeld für den Zeitraum vor der Auszahlung ein Kindergeldanspruch bestandskräftig abgelehnt worden ist.

Mit Antrag vom 07.07.2000, bei der Beklagten eingegangen am 13.07.2000, beantragte der Kläger für seine am 04.03.1986 und 06.09.1999 geborenen Kinder X. und Y. Kindergeld bei der Familienkasse des Arbeitsamtes T.. Der Kläger gab dabei an, dass er Vietnamese sei und über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland verfüge. Mit Kassenanordnung vom 19.07.2000 verfügte die Familienkasse des Arbeitsamtes T. die Kindergeldzahlung ab Juni 2000. Ein besonderer Bescheid erging nicht.

Mit Schreiben vom 03.06.2008, bei der Beklagten eingegangen am 05.06.2008, beantragte der Kläger aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.2004 eine Nachzahlung des Kindergeldes für den Zeitraum, in dem er nur über eine Aufenthaltsbefugnis verfügt hatte. Mit Bescheid vom 24.06.2008 lehnte die Beklagte die Gewährung von Kindergeld für diesen Zeitraum ab und führte zur Begründung die abgelaufene Festsetzungsfrist an.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 02.07.2008 hiergegen Einspruch eingelegt. Den Ein-spruch hat die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15.10.2008 als unbegründet zurückgewiesen und zur Begründung erneut auf die Verjährungsfristen verwiesen.

Mit seiner am 12.11.2008 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung führt er aus, dass er schon im Jahre 2000 einen Antrag auf Kindergeld gestellt habe und ab Juni 2000 Kindergeld bewilligt worden sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 24.06.2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 15.10.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger gegenüber rückwirkend Kindergeld von Januar 1996 bis Mai 2000 festzusetzen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, dass die Ansprüche des Klägers verjährt seien. Soweit der Kläger auf seinen Antrag aus dem Jahre 2000 abstelle, sei durch die Auszahlung des Kindergeldes ab Juni 2000 für den Zeitraum davor eine Festsetzung bestandskräftig abgelehnt worden. Der Kläger habe seinerzeit keinen Einspruch eingelegt.

Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten am 22.04.2009 die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert; auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Der Senat hat am 05. November 2009 in der Sache mündlich verhandelt; auf die Sitzungsniederschrift wird ebenfalls Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage führt auch in der Sache

zum Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte hat zu Unrecht die Festsetzung von Kindergeld für die beiden Kinder des Klägers für den Zeitraum Januar 1996 bis Mai 2000 abgelehnt.

I.

1. Materiell-rechtlich besteht zwischen den Beteiligten kein Streit über den Anspruch auf Kindergeld im streitbefangenen Umfang. Der Senat hat ebenfalls keine Bedenken. Die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 c und Nr. 3 EStG lagen vor. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass er in den Streitjahren berechtigt erwerbstätig war. Er hat im Jahre 1996 als Koch in B. und 1997 bis 2000 in einem Restaurant in F. gearbeitet. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung einen Nachweis über Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für den Streitzeitraum beigebracht. Nach schriftlicher Auskunft der Einbürgerungsbehörde des Kreises C. vom 03.11.2001 wurde dem Kläger am 02.12.1991 erstmals eine Aufenthaltsbewilligung und am 18.03.1993 erstmals eine Aufenthaltsbefugnis erteilt.

2. Die Auffassung der Beklagten, in der Auszahlung des Kindergeldes ab Juni 2000 sei ein (Ablehnungs-) Bescheid zu sehen, der durch formlose Bekan...

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