Entscheidungsstichwort (Thema)
Frage der wirksamen Zustellung mittels Ersatzzustellung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist eine Zustellung gem. § 178 ZPO nicht möglich, kann ein Schriftstück gem. § 180 S. 1 ZPO in einen zur Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit Einlegung gilt ein Schriftstück gem. § 180 S. 2 ZPO als zugestellt. Der Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert den vollen Gegenbeweis, d.h. den Beweis der Unrichtigkeit der Zustellungsurkunde in der Weise, dass ihre Beweiskraft vollständig entkräftet wird. Die schlichte Behauptung einer Falschbeurkundung durch den Zusteller genügt nicht.
2. Der Umzug des Stpfl. innerhalb eines Mehrfamilienhauses steht der wirksamen Zustellung nicht entgegen, da mit dem Wohnungswechsel nicht zwingend ein Briefkastenwechsel verbunden war, da diese allein durch ihre Namensbeschriftung einer bestimmten Wohnung zugeordnet werden und nicht etwa durch eine aufgedruckte Nummerierung, die mit einer entsprechenden Nummerierung der Wohnungen korrespondiert. Daraus folgt, dass ein Briefkasten nicht untrennbar mit einer Wohnung verbunden war, sondern die Zuordnung der Briefkästen einfach geändert werden konnte. Unter solchen Umständen obliegt es dem Stpfl., einen eventuellen Briefkastenwechsel kenntlich zu machen. Unterlässt er dies, findet kein Wechsel statt, so dass der alte Briefkasten fortan der neuen Wohnung zugeordnet wird und ein Brief durch Einwurf in diesen Briefkasten wirksam zugestellt wird.
Normenkette
ZPO § 180 Sätze 1-2; AO § 355 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Streitig ist die ordnungsgemäße Bekanntgabe und die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids.
Der Kläger war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der T. H. X. GmbH (im Folgenden: „GmbH”). Mit seiner Wohnung ist er beim Einwohnermeldeamt der Gemeinde S. in der Y.-straße 01, S., gemeldet.
Die GmbH hatte Anfang des Jahres 2008 Steuerrückstände in Höhe von … EUR, die aus Umsatzsteuer für den Zeitraum Februar bis September 2007 nebst steuerlichen Nebenleistungen resultierten. Am 14.04.2008 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet (Beschluss des AG F., Az. …)
Nach vorheriger vergeblicher Aufforderung zur Stellungnahme zu bestimmten Fragen nahm der Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 09.01.2008 in Haftung für die Steuerschulden der GmbH und forderte ihn auf, … EUR zu zahlen. Der Beklagte begründete die Haftung mit § 69 in Verbindung mit §§ 34, 35 der Abgabenordnung – AO –. Er erläuterte in dem Bescheid, er nehme den Kläger als Geschäftsführer der GmbH in Anspruch, da dieser die Steuerrückstände der GmbH nicht am Fälligkeitstag entrichtet habe und er – der Beklagte – wegen fehlender Mitwirkung des Klägers auch weder die Vermögensverhältnisse der GmbH noch andere fällige Verbindlichkeiten der GmbH bei der Ermittlung der Haftungshöhe habe berücksichtigen können. Auf dem Bescheid war die Steuernummer „H-001/0002/0003” vermerkt und er war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Der Bescheid war an „Herrn T. H., Y.-str. 01, … S.” gerichtet.
Auf der Reinschrift des Bescheids in der Steuerakte des Beklagten vermerkte ein Mitarbeiter, der Bescheid sei „per ZU” am 09.01.2008 verschickt worden. Der Beklagte versandte den Bescheid durch eine Zustellungsurkunde, in der im Feld „Aktenzeichen” notiert war: „001/0002/H/0003 Haftungsbescheid v. 09.01.2008”. Die Zustellungsurkunde gelangte am 14.01.2008 an den Beklagten zurück. In ihr war vermerkt, dass eine Postbedienstete der Deutschen Post AG, Frau T1. G., am 10.01.2008 das Schriftstück zu übergeben versucht habe. Weiter war ausgeführt:
„Weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich war, habe ich das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt.”
Wegen der Einzelheiten wird auf die Zustellungsurkunde verwiesen.
Mit Schreiben vom 17.07.2010 legte der Kläger gegen den Haftungsbescheid Einspruch ein und führte aus, ihm sei ein Haftungsbescheid nie zugestellt worden. Er sei lediglich vom Finanzamt C. hierauf hingewiesen worden. Eine Zustellung an seiner Adresse sei auch nicht möglich gewesen, da das Haus, in dem er wohne, über vier Briefkästen mit identischer Namensbezeichnung verfüge.
Der Beklagte verwarf den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 29.09.2010 als unzulässig, da der Bescheid durch Ersatzzustellung gem. § 180 der Zivilprozessordnung – ZPO – wirksam bekannt gegeben worden sei und der Einspruch verspätet eingelegt worden sei.
Hiergegen richtet sich die am 29.10.2010 erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein Klagebegehren weiter verfolgt.
Nach seiner Auffassung kann der – insoweit beweisbelastete – Beklagte die Wirksamkeit der Ersatzzustellung gem. § 180 ZPO nicht durch Vorlage der Zustellungsurkunde vom 10.01.2008 führen, da ein Briefkasten, in den die Postbedienstete den Brief einge...