Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung (auch) ohne Verletzung der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht
Leitsatz (redaktionell)
1) Eine Auszahlung von Kindergeld an die Kinder des Kindergeldberechtigten ist auch dann zulässig, wenn der Kindergeldberechtigte tatsächlich keinen Unterhalt leistet und zivilrechtlich auch nicht dazu verpflichtet ist.
2) Die Ansicht in der DA-FamEStG 74.11 Abs. 1 Sätze 1 und 3, wonach eine Abzweigung nur dann in Betracht kommt, wenn der Berechtigte seine Unterhaltspflicht dem Kind gegenüber andauernd verletzt, ist überholt.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, ab dem 01.07.2006 das Kindergeld nicht an den beigeladenen kindergeldberechtigten Vater, sondern an die Klägerin (Klin.) auszuzahlen.
Die am 14.06.1988 geborene Klin. ist die Tochter des Beigeladenen. Die Klin. besuchte ein Fachseminar für Alten- und Familienpflege in I. Die Ausbildung begann am 17.10.2005 und sollte am 16.10.2007 beendet werden. Der Beigeladene bezog aufgrund des Bescheides der Beklagten (Bekl.) vom 01.08.2005 für die Klin., die damals noch bei ihm wohnte, und für eine weitere Tochter Kindergeld. Die Klin. zog am 01.07.2006 aus dem Haushalt ihres Vaters aus und lebt seitdem gemeinsam mit ihrem Freund unter der im Rubrum angegebenen Anschrift. Am 26.06.2006 beantragte die Klin. die Auszahlung des auf sie entfallenden Kindergeldes an sie.
Der Beigeladene teilte gegenüber der Bekl. auf dem ihm zur Verfügung gestellten Formular mit, dass die Klin. weiterhin die Möglichkeit habe, in seinem Haushalt zu wohnen und verpflegt zu werden. Diese Sachleistung (Naturalleistung) habe er der Klin. permanent angeboten.
Die Bekl. lehnte mit Bescheid vom 12.07.2006 den Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes mit der Begründung ab, die Klin. könne weiterhin im Haushalt ihres Vaters leben und verpflegt werden. Sie berief sich dabei auf § 74 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG).
Zur Begründung des hiergegen eingelegten Einspruchs trug die Klin. vor, sie lebe seit ca. vier Monaten nicht mehr zuhause bei ihrem Vater. Sie und ihr Vater hätten sich familiär so zerstritten, dass ein gemeinsames Zusammenleben nicht mehr möglich sei. Zur Zeit befinde sie sich in einer schulischen Ausbildung zur Familienpflegerin ohne Ausbildungsvergütung. In dieser Zeit habe ihr Vater sie in keiner Weise finanziell unterstützt. Sie habe sich weder Schulbücher, Kleidung, Essen oder Sonstiges kaufen können. In dieser Phase hätten ihre Freunde und ihr Freund versucht, ihr soweit wie möglich zu helfen. Ihr Vater habe ihr einfach die finanzielle Unterstützung nicht gegeben und das erhaltene Kindergeld für seine Zwecke verbraucht.
Sie legte dem Einspruchsschreiben ein Schreiben des Fachbereiches Jugend und Soziales von der Stadt I vom 16.06.2006 bei, in dem bestätigt wurde, dass die Beziehungen der Klin. zu ihrem Vater nach wie vor so gestört seien, dass die Klin. nicht mehr im Haushalt ihres Vaters leben könne. Die Stadt I bat darin, einem von der Klin. gestellten Antrag auf Leistungen stattzugeben.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung – EE – vom 31.07.2006). Die Bekl. meint, dass die Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergeldes gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht gegeben seien. Eine Abzweigung scheide hier aus, weil der kindergeldberechtigte Elternteil seine Unterhaltspflicht erfülle. Als Unterhaltsleistungen seien dabei nicht nur Geldzahlungen, sondern auch Sach- und Betreuungsleistungen zu berücksichtigen. Bei einem unverheirateten Kind könnten Eltern bestimmen, in welcher Art sie Unterhalt gewähren wollten, dieses Recht bestehe auch bei erwachsenen unverheirateten Kindern. Vorliegend habe der kindergeldberechtigte Kindesvater erklärt, dass die Klin. die Möglichkeit habe, weiterhin bei ihm im Haushalt zu wohnen und verpflegt zu werden. Es stehe der Klin. frei, die angebotenen Unterhaltsleistungen anzunehmen.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Klin. ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt sie vor, bis zum 01.07.2006 habe sie zumindest zeitweise noch mit ihrem Vater, dem Beigeladenen, zusammengelebt. Das Verhältnis sei jedoch äußerst angespannt gewesen. Es sei immer wieder zu Streit gekommen. Der Vater sei langzeit erkrankt und bekomme bereits seit einem Jahr Krankengeld. Zudem habe er sich finanziell übernommen. Seiner Meinung nach solle die Klin. die schulische Ausbildung aufgeben und arbeiten gehen, um die Schulden des Vaters abzuzahlen. Hierüber sei es immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen. Entsprechend seiner Haltung habe der Vater den Kauf von Schulbüchern, Kleidung, Hygieneartikel usw. verweigert. Er habe ihr keinerlei Taschengeld gewährt. Ihr Vater leiste definitiv keinerlei Unterhalt für sie. Es genüge auch nicht, dass hier, ohne dass an der Störung des Gesamtverhältnisses gearbeitet werde, der Naturalunterhalt angeboten werde. Die Unterhaltsbestimmung müsse als Gesamtkonzept unterschiedliche Leistungen enthalten wie Wohnung, Verpflegung, T...