Entscheidungsstichwort (Thema)
Beendigung der Haushaltsaufnahme bei Inhaftierung des volljährigen Kindes
Leitsatz (amtlich)
1. Die Inhaftierung eines volljährigen Kindes ist nicht ohne weiteres vergleichbar mit denjenigen Fällen, in denen sich ein volljähriges Kind vorübergehend auswärts zu Studien- bzw. Ausbildungszwecken aufhält.
2. Bei einer nur sehr kurzfristigen Inhaftierung kann man nicht ohne Hinzutreten besonderer Umstände davon ausgehen, dass eine dauerhafte Trennung vom (groß-) elterlichen Haushalt gegeben ist.
3. Eine dauerhafte Trennung ist aber gegeben bei einer Inhaftierung von zweieinhalb Jahren.
Normenkette
EStG § 63 Abs. 1 Nr. 3 EStG
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin für ihr leibliches Enkelkind Kindergeld im Zeitraum Oktober 2010 bis November 2011 Anspruch auf Kindergeld hat.
Die Klägerin ist die Großmutter des am 28. September 1992 geborenen D. Seit April 1993 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres lag das Sorgerecht bei der Klägerin, die das Kind in ihren Haushalt aufgenommen hatte.
Ab dem 14. Dezember 2009 war das Kind in der Jugendstrafanstalt in Schifferstadt inhaftiert. Es machte dort eine Ausbildung (Berufsfachschule für Metall). Am 14. September 2012 wurde das Kind aus der Haft entlassen. Er war in der Folge zunächst als Obdachloser von der Caritas in K aufgenommen worden, hatte dann eine Wohnung in K und lebt jetzt seit Februar 2013 in E in einer eigenen Wohnung in räumlicher Nähe zur Klägerin.
Mit Bescheid vom 23. September 2011 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 15. September 2011 auf Bewilligung von Kindergeld ab Oktober 2010 ab und führte zur Begründung aus, dass das Kind bei ihr nicht als Enkelkind berücksichtigt werden könne, weil es nicht bzw. nicht mehr in ihren Haushalt aufgenommen sei, § 63 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Trotz der von der Kindesmutter eingereichten Verzichtserklärung zu ihren Gunsten könne das Kindergeld nicht an die Großmutter ausgezahlt werden.
Der hiergegen form- und fristgerecht eingelegte Einspruch führte nicht zum Erfolg. Mit Einspruchsentscheidung vom 09. November 2011 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Ob dem aufnehmenden Berechtigten das Sorgerecht für das Kind zustehe, sei für die Frage der Haushaltsaufnahme nicht entscheidend. Ebenso wenig komme es darauf an, ob dieser Berechtigte das Aufenthaltsbestimmungsrecht habe und ob das Kind melderechtlich bei ihm geführt werde. Eine räumliche Trennung stehe dem Fortbestand der Haushaltsaufnahme dann nicht entgegen, wenn die auswärtige Unterbringung nur von vorübergehender Natur sei. Von einem vorübergehenden Zustand könne im Allgemeinen ausgegangen werden, wenn das Kind im Rahmen seiner Möglichkeiten regelmäßig in den Haushalt des Berechtigten zurückkehre. Trotz der von der Kindesmutter eingereichten Verzichtserklärung zugunsten der Klägerin könne das Kindergeld nicht an die Einspruchsführerin ausgezahlt werden.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 09. Dezember 2011 bei Gericht eingegangenen Klage. Sie trägt zur Begründung ihrer Klage vor, ihr sei trotz des bereits bestehenden Aufenthaltes des Kindes in der JVA Schifferstadt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes, also bis einschließlich September 2010, Kindergeld gezahlt worden. Offensichtlich sei hier trotz dieser Inhaftierung von Seiten der Beklagten davon ausgegangen worden, dass das Kind weiterhin in den Haushalt der Klägerin aufgenommen sei. An dieser Situation habe sich mit der Vollendung des 18. Lebensjahres nichts geändert. Das Kind sei nach wie vor am Wohnsitz der Klägerin gemeldet und eine Haushaltsaufnahme liege auch trotz des noch andauernden JVA-Aufenthalts weiterhin vor, denn eine bestehende Haushaltszugehörigkeit werde durch eine zeitweilige auswärtige Unterbringung nicht unterbrochen. Die auswärtige Unterbringung des Kindes in der JVA sei nur von vorübergehender Natur.
Des Weiteren finde auch trotz der Inhaftierung des Kindes eine persönliche Versorgung und Betreuung durch die Klägerin statt. Die Klägerin gewähre dem Kind Taschengeld und versorge es mit Kleidung und sonstigen, in der JVA nicht zur Verfügung stehenden Sachen; außerdem besuche sie regelmäßig das Kind in Schifferstadt.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 23. September 2011 und der Einspruchsentscheidung vom 09. November 2011 die Beklagte zu verpflichten, für das Enkelkind D für den Zeitraum Oktober 2010 bis November 2011 Kindergeld zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte tritt der Klage entgegen und führt unter Hinweis auf die angefochtene Einspruchsentscheidung ergänzend aus: Der Begriff der Haushaltsaufnahme im Sinne des § 64 Abs. 2 S. 1 EStG sei bereits geklärt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liege eine solche vor, wenn das Kind in die Familiengesellschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden sei. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssten Voraussetzungen materieller Art ...