Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf der Zustimmung zum Realsplitting als neue Tatsache
Leitsatz (amtlich)
Der Widerruf einer Zustimmung zum Realsplitting kann sowohl gegenüber dem für die Veranlagung des Unterhaltsleistenden zuständigen Finanzamt, als auch gegenüber dem für die Veranlagung des Unterhaltsempfängers zuständigen Finanzamt erklärt werden; er wird im Zeitpunkt des Zugangs wirksam.
Der Änderung der Veranlagung des Unterhaltsleistenden gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO steht nicht entgegen, dass im Zeitpunkt der erstmaligen Veranlagung dem für die Veranlagung des Unterhaltsempfängers zuständigen Veranlagungsbezirk der Widerruf der Zustimmung bereits zugegangen war, dieser aber den für die Veranlagung des Unterhaltsleistenden darüber nicht unterrichtet hatte.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO für eine Änderung wegen neuer Tatsachen zu ungunsten des Steuerpflichtigen vorliegen.
Der Kläger ist seit 1997 geschieden. In einer notariellen Unterhaltsvereinbarung vom 02.02.1998 einigten der Kläger und seine geschiedene Ehefrau sich auf eine monatliche Unterhaltszahlung des Klägers von 400 DM auf die Lebensdauer der früheren Ehefrau.
In den Jahren 1998 und 1999 wurden die Unterhaltszahlungen antragsgemäß als Sonderausgaben berücksichtigt.
Mit Schreiben vom 10.09.2000 widerrief die frühere Ehefrau des Klägers die Zustimmung zur Versteuerung der Unterhaltsleistungen "ab sofort" (Bl. 2/Änderungen der ESt-Akte). Der für die Veranlagung der früheren Ehefrau zuständige Veranlagungsbezirk des Beklagten fertigte einen Vermerk, dass der Widerruf ab 2001 gültig sei.
In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2001 und 2002 machte der Kläger Unterhaltszahlungen in Höhe von 4.800 DM für 2001 und 2.454 € für 2002 geltend. Diese wurden antragsgemäß als Sonderausgaben berücksichtigt.
Am 05.09.2003 erhielt der für den Kläger zuständige Veranlagungsbezirk eine am 03.09.2003 gefertigte Kontrollmitteilung über den Widerruf der Zustimmung (Bl. 1/Änderung der ESt-Akte).
Am 29.10.2003 erließ der Beklagte nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2001 und 2002, in denen die Unterhaltsleistungen nicht mehr als Sonderausgaben berücksichtigt wurden. Der dagegen gerichtete Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 15.10.2004 als unbegründet zurückgewiesen.
Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor, es fehle an einer neuen Tatsache. Deshalb hätten die Änderungsbescheide nicht ergehen dürfen. Der Widerruf der Zustimmung zur Versteuerung der Unterhaltsleistungen durch die frühere Ehefrau des Klägers sei dem für ihre Veranlagung zuständigen Bezirk bereits am 10.09.2000 zugegangen. Der Kläger habe von dem Widerruf keine Kenntnis gehabt. Im Zeitpunkt des Erlasses der erstmaligen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2001 am 26.03.2002, bzw. 2002 am 24.07.2003 sei die Tatsache des Widerrufs deshalb dem Beklagten bekannt gewesen. Dass der Sachbearbeiter des für die frühere Ehefrau zuständigen Bezirks es versäumt habe, zeitnah eine Kontrollmitteilung zu fertigen, könne nicht zu Lasten des Klägers gehen. Auch der für die Veranlagung des Klägers zuständige Sachbearbeiter habe - da es sich um einen Dauer-Sachverhalt handele - in jedem Veranlagungszeitraum eine Ermittlungspflicht. Jedenfalls liege ein Organisationsmangel auf Seiten des Beklagten vor, der die Berufung auf eine neue Tatsache gemäß Treu und Glauben ausschließe.
Zudem habe sich anlässlich einer Vorsprache des Klägers wegen des Einkommensteuerbescheides für 1999 heraus gestellt, dass die Vorgänge betreffend die Unterhaltszahlungen an die geschiedene Ehefrau nicht in der Steuerakte des Klägers abgeheftet gewesen seien, sondern in einem anderen Ordner. Bei einer solchen Organisationsform bestehe eine Pflicht zur Überprüfung der Angaben in der Steuererklärung, zumal der Kläger von dem Widerruf nichts gewusst habe.
Der Kläger beantragt,
die geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2001 und 2002 vom 29.10.2003 und die Einspruchsentscheidung vom 15.10.2004 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt ergänzend zu der Begründung der Einspruchsentscheidung vor, der für den Kläger zuständige Veranlagungsbezirk müsse sich das Wissen des für die frühere Ehefrau zuständigen Veranlagungsbezirks nicht zurechnen lassen. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass nur das Wissen der für den Steuerpflichtigen zuständigen Dienststelle maßgeblich sei (z.B. Urteile vom 17.11.1998 - VIII R 24/98 und vom 02.07.2003 - XI R 8/03). Der für den Kläger zuständige Veranlagungsbezirk habe auch keine Aufklärungspflichten verletzt. Unklarheiten oder Zweifelsfragen hätten sich nicht aufgedrängt. Aus welchen Gründen die Kontrollmitteilung erst drei Jahre später gefertigt worden sei, spiele keine Rol...