Leitsatz

Ist der Grundstückskaufvertrag mit einem befristeten Erwerberbenennungsrecht ausgestattet, kommt es zur Anschaffung i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG im Zeitpunkt der Selbstbenennung (Selbsteintritt), selbst wenn der Benennungsberechtigte das Grundstück mit dem späteren Fristablauf ohnehin "automatisch" (Annahmefiktion) erworben hätte.

 

Normenkette

§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin vereinbarte mit notariellem "Grundstückskaufvertrag" den Erwerb von Grundstücksteilflächen. Eine Teilfläche erwarb ein Dritter. Die Klägerin erhielt das befristete Recht, für weitere fünf Teilflächen die Erwerber einseitig benennen zu dürfen (Benennungsrecht). Nach Ablauf der Benennungsfrist sollte die Klägerin selbst als Erwerberin gelten. Die Klägerin benannte für eine Teilfläche sich und ihren Ehemann (Kläger) als Erwerber. Auf der Teilfläche errichteten die Kläger ein EFH und vermieteten es bis zu seiner Veräußerung. Die Klägerin ging davon aus, das Grundstück nicht erst mit der Selbstbenennung, sondern aufgrund des notariellen Grundstückskaufvertrags erworben zu haben. Zwischen dem notariellen Grundstückskaufvertrag und der Veräußerung lagen mehr als 10 Jahre; zwischen der Selbstbenennung und der Veräußerung nicht. Das FA erfasste den Veräußerungsgewinn. Das FG hat der Klage stattgegeben. Es habe sich um einen (von Anfang an wirksamen) aufschiebend bedingten Erwerb gehandelt. Hinsichtlich der Ausübung des Erwerberbenennungsrechts habe es sich um eine Potestativbedingung gehandelt. Die Klägerin hätte aber in jedem Fall durch Zeitablauf erworben (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4.6.2020, 10 K 10154/15, Haufe-Index 14174269).

 

Entscheidung

Auf die Revision des FA hat der BFH das FG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe das bis dahin nur einseitig bindende Angebot erst mit ihrer Selbstbenennung angenommen. Bis dahin bzw. bis zum Ablauf der Benennungsfrist hätte sie sich durch Benennung eines Fremden von dem Vertrag wieder lösen können. Dass sie bei vergeblichem Fristablauf automatisch erworben hätte, sei unerheblich, denn dieser Fall sei nicht eingetreten.

 

Hinweis

Der Besprechungsfall reiht sich ein in eine Vielzahl von Fällen, in denen die 10-jährige Behaltensfrist infolge von Rechtsirrtümern nicht eingehalten worden ist. Die Steuerpflichtigen und ihre Berater wähnten sich auf der richtigen und auf der sicheren Seite, sie sind das Risiko bewusst eingegangen und gescheitert. Dabei sind "Experimente" in diesem Kontext regelmäßig nicht nur teuer, sondern fast immer auch vermeidbar.

1. Bekanntlich stellt der BFH für den Beginn und das Ende des 10-Jahrezeitraums auf die obligatorischen Verträge ab. Grundsätzlich ist dafür erforderlich, dass sich beide Seiten endgültig gebunden haben (übereinstimmende Willenserklärungen).

a) Das ist auch der Fall, wenn der Vertrag unter einer aufschiebenden Bedingung steht. Ein aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft ist wirksam. Die Vertragspartner können sich von ihm nicht mehr einseitig lösen (BFH, Urteil vom 10.2.2015, IX R 23/13, BStBl II 2015, 487, BFH/PR 2015, 198).

b) Ist der Vertrag schwebend unwirksam, muss weiter differenziert werden.

Hängt die Wirksamkeit davon ab, dass das Handeln eines vollmachtlosen Vertreters vom Vertretenen genehmigt werden muss, ist der Vertretene bis zur Genehmigung nicht gebunden. Die beiderseitige Bindung kommt erst mit der Genehmigung zustande. Die Genehmigung wirkt auch nicht zurück (BFH, Urteil vom 2.10.2001, IX R 45/99, BStBl II 2002, 10, BFH/PR 2002, 52).

Anders soll dies sein, wenn die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung eines Dritten (Behörde) abhängt, die keinen Einfluss auf den Inhalt des Vertrags hat, sondern Zwecke verfolgt, die außerhalb des Vertrags liegen und auf die die Vertragsbeteiligten keinen Einfluss haben (BFH, Urteil vom 25.3.2021, IX R 10/20, BStBl II 2021, 758, BFH/PR 2021, 425: Sanierungsrechtlicher Genehmigungsvorbehalt). Dann, so der BFH, bindet auch das schwebend unwirksame Rechtsgeschäft bereits im Zeitpunkt seines Abschlusses.

2. Ausnahmsweise kann die Abgabe eines nur einseitig bindenden Verkaufsangebots ausreichen, wenn hinzukommt, dass mit der Abgabe des Angebots die Veräußerung wirtschaftlich bereits vollzogen ist (zivilrechtlich durch den Übergang von Besitz, Nutzungen und Lasten und steuerrechtlich durch den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums).

3. Darüber hinausgehende Grundsätze stellt das Besprechungsurteil nicht auf.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 26.10.2021 – IX R 12/20

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