Rz. 81
Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung
In zeitlicher Hinsicht vollziehen sich Funktionsverlagerungen regelmäßig nicht schlagartig zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern sukzessive innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Dem gesetzlichen Tatbestand der Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 3b Satz 1 AStG kann der Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung nicht entnommen werden. Er beschränkt sich darauf, dass eine "Funktion (…) verlagert" wird und formuliert die Rechtsfolge einer Funktionsverlagerungsbesteuerung dahingehend, dass "auf die verlagerte Funktion Absatz 3 Satz 7 anzuwenden" ist. Die vornehmlich für Fälle der Funktionsverlagerung eingeführten Regelungen zur Preisanpassungsklausel verweisen für die widerlegbare Vermutung bestehender Bewertungsunsicherheiten in Fällen, in denen keine vertragliche Preisanpassungsklausel vereinbart wurde, auf den "Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses". Die Formulierung der Rechtsfolge deutet mit der Verwendung von "verlagerte Funktion" darauf hin, dass die Funktionsverlagerungsbesteuerung erst zu dem Zeitpunkt in Betracht kommt, in dem die Funktionsverlagerung abgeschlossen ist. § 1 Abs. 2 Satz 3 FVerlV bestimmt als maßgeblichen Zeitpunkt den Zeitpunkt, zu dem die Tatbestandsvoraussetzungen der Funktionsverlagerung "durch ihre gemeinsame Verwirklichung wirtschaftlich erfüllt sind". Die VWG-Funktionsverlagerung stellen dementsprechend für den Zeitpunkt, zu dem sich eine Funktionsverlagerung "ereignet" hat, auf den Zeitpunkt ab, in dem der Tatbestand der Funktionsverlagerung nach § 1 Abs. 2 FVerlV vollständig verwirklicht wurde; dies ungeachtet später folgender, wirtschaftlich zur Funktionsverlagerung gehörender und deshalb in die Transferpaketbetrachtung einzubeziehender Geschäftsvorfälle.
Rz. 82
Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen innerhalb eines 5-Jahres-Zeitraums
Für sukzessive Verlagerungsvorgänge, in denen sich die Funktionsverlagerung über einen längeren Zeitraum erstreckt, bestimmt § 1 Abs. 2 Satz 3 FVerlV, dass Geschäftsvorfälle, die innerhalb von 5 Wirtschaftsjahren verwirklicht werden, zu dem Zeitpunkt, zu dem sie die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung erfüllen, als einheitliche Funktionsverlagerung zusammenzufassen sind. Die Vorschrift ordnet damit eine veranlagungszeitraumübergreifende Betrachtung an. Dieser Regelung kommt insofern in der Praxis erhebliche Bedeutung zu, als der Grundsatz, dass Einzeltransaktionen, die für sich genommen nicht als Funktionsverlagerung zu qualifizieren sind, z. B. isolierte Veräußerung oder Nutzungsüberlassung von Wirtschaftsgütern, dann nicht gilt, wenn diese Transaktionen Bestandteile einer Funktionsverlagerung sind. Das Vorliegen einer Funktionsverlagerung bestimmt sich hierbei im Einzelnen nach den allgemeinen Grundsätzen des § 1 Abs. 2 FVerlV. Soweit die Finanzverwaltung dabei auf die in den Veranlagungszeiträumen tatsächlich verwirklichten Geschäftsvorfälle und nicht auf die Absicht des Steuerpflichtigen abstellt, verstößt sie gegen den Grundsatz der "Ex-ante"-Betrachtung.
Rz. 83
Maßgeblicher Bewertungsstichtag
Der Zeitpunkt, in dem die Tatbestandsvoraussetzungen vollständig verwirklicht sind, ist der maßgebliche Bewertungsstichtag i. S. von § 2 FVerlV. Zu diesem Bewertungsstichtag sind die auf das Transferpaket entfallenden Barwerte der finanziellen Überschüsse sowohl aus der Sicht des übertragenden als auch aus der Sicht des übernehmenden Unternehmens zu bestimmen.
Rz. 84
Zeitpunkt bestehender Handlungsalternativen
Eine andere Frage ist allerdings, auf welchen Zeitpunkt im Hinblick auf das Bestehen oder Nichtbestehen "eindeutig vorteilhafterer Handlungsalternativen" abzustellen ist. Diese sind bei der Bestimmung der für die Einigungsbereichsbetrachtung maßgeblichen Grenzpreise zu berücksichtigen und der jeweils bezogen auf das übergehende Transferpaket bestimmten Preisgrenze (Mindestpreis des verlagernden Unternehmens/Höchstpreis des übernehmenden Unternehmens) gegenüberzustellen (Rz. 62 f.). Wenn sowohl für die Existenz als auch für die Bewertung von Handlungsalternativen auf den Bewertungsstichtag abgestellt würde, lägen der Verrechnungspreisbestimmung Informationen zugrunde, die dem Steuerpflichtigen bei der Entscheidung über die Realisierung einer bestimmten verbundinternen Transaktion anstelle einer anderen alternativen Handlungsmöglichkeit nicht verfügbar waren. Richtigerweise ist der Zeitpunkt der Entscheidung der späteste Zeitpunkt der Informationsverfügbarkeit. Diese Entscheidung erfolgt allerdings auf der Grundlage bewerteter Handlungsalternativen. Bei längeren Entscheidungsprozessen wäre deshalb bereits der Zeitpunkt der vorgelagerten Entscheidung über die Einbeziehung und Berücksichtigung alternativer Handlungsmöglichkeiten von Bedeutung. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Fremdvergleichsgrundsatz, auf den die OECD-Leitlinien das Konzept der realistischerweise zur Verfügung stehenden Handlungsalternative zurückführen.