Leitsatz
Die Anzeige des Arbeitgebers nach § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG ersetzt die Erfüllung der Einbehaltungspflicht. Bei unterlassener Anzeige hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit den Haftungsfolgen (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG) nicht ordnungsgemäß einbehalten.
Normenkette
§ 38 Abs. 4 EStG , § 42d EStG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, hatte ihrem Geschäftsführer K im Jahr 1982 Versorgungsbezüge zugesagt, zu deren Absicherung eine Rückdeckungsversicherung abgeschlossen wurde. K, der 1992 ausschied, befindet sich im Ausland mit unbekanntem Aufenthaltsort. Im Jahr 1993 trafen K (vertreten durch einen inländischen Bevollmächtigten), seine getrennt lebende Ehefrau E und die GmbH eine Vereinbarung des Inhalts, dass K auf seine Rechte aus der Versorgungszusage verzichtete und im Gegenzug die Klägerin ihre Rechte aus der Versicherung an E abtrat. Aufgrund dieser Abtretung zahlte die Rückdeckungsversicherung das angesammelte Kapital an E in vollem Umfang aus.
Das FA vertrat die Ansicht, in der Abtretung des Anspruchs auf das angesammelte Kapital liege eine Lohnzahlung an K, die dem LSt-Abzug unterliege. Deshalb nahm das FA die Klägerin mit LSt-Haftungsbescheid in Anspruch. Zur Begründung führte es an, die Klägerin hätte den anteiligen Betrag des ausgezahlten Kapitals einbehalten und abführen müssen. Das FG wies die Klage ab.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung. Er führte zunächst aus, dass ein Lohnzufluss weder in der Gewährung der Versorgungszusage noch in der Absicherung dieser Zusage mittels Rückdeckungsversicherung zu sehen sei. Der Lohnzufluss sei aber darin zu erblicken, dass die Ansprüche aus der Rückdeckungsversicherung an E abgetreten worden seien. Diese Abtretung verschafften der E einen unmittelbaren Anspruch gegen die Versicherung. Dies beinhalte zugleich einen den K bereichernden Lohnzufluss. Der Vorgang stelle sich als Zuwendung der Klägerin an eine dritte Person (E) im Rahmen einer Lohnverwendungsabrede dar.
Der BFH ließ offen, ob ein Fall von Sach- oder Barlohn vorliege und ob die Klägerin verpflichtet gewesen sei, einen Teil der zunächst nur ihr zustehenden Ansprüche aus der Rückdeckungsversicherung zurückzubehalten, um damit die auf die Abfindung entfallende LSt an das FA weiterleiten zu können. Jedenfalls musste sie – wenn sie von fehlenden Barmitteln i.S.d. § 38 Abs. 4 Satz 1 EStG ausging – dies dem FA anzeigen. Indem sie die Anzeige versäumte, kam die Klägerin ihrer Einbehaltungspflicht nicht nach. Damit hatte sie den Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG erfüllt.
Hinweis
1. Die Vorschrift des § 38 Abs. 4 EStG ist im Zusammenhang mit § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG zu sehen. Der Lohnsteueranspruch ist ein Geldleistungsanspruch, der regelmäßig aus dem Barlohn getilgt wird. Das Gesetz muss deshalb eine Regelung für diejenigen Fälle treffen, in denen der Barlohn zur Deckung der einzubehaltenden LSt nicht ausreicht.
In Fällen unzureichender Barmittel sieht das Gesetz in § 38 Abs. 4 EStG Folgendes vor.
Reicht der vom Arbeitgeber geschuldete Barlohn zur Deckung der LSt nicht aus, so hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Fehlbetrag zur Verfügung zu stellen oder der Arbeitgeber hat einen entsprechenden Teil der anderen Bezüge des Arbeitnehmers zurückzubehalten (§ 38 Abs. 4 Satz 1 EStG).
Soweit der Arbeitnehmer seiner Verpflichtung nicht nachkommt und der Arbeitgeber den Fehlbetrag nicht durch Zurückbehaltung von anderen Bezügen des Arbeitnehmers aufbringen kann, muss der Arbeitgeber dies dem Betriebsstätten-FA anzeigen (§ 38 Abs. 4 Satz 2 EStG).
2. Mit der vorliegenden Entscheidung macht der BFH klar, dass die Anzeige nach § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG die Einbehaltungspflicht ergänzt und sie in den einschlägigen Fällen ersetzt, in denen der Arbeitgeber keine Verfügungsmacht über Mittel erlangt, die eine Einbehaltung der LSt ermöglichen. Unterlässt der Arbeitgeber die Anzeige, erhebt er die LSt nicht vorschriftsmäßig; er haftet dann nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG.
3. Im Streitfall wäre das Haftungsrisiko vermieden worden, wenn der Arbeitgeber die Versicherungsansprüche nicht abgetreten, sondern die Versicherung lediglich gekündigt und sich das Deckungskapital hätte auszahlen lassen, das er dann – abzüglich der abgeführten LSt – an den Arbeitnehmer bzw. an die von diesem benannte Person hätte auszahlen können.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.10.2002, VI R 112/99