Leitsatz

Stipendien aus dem ERASMUS/SOKRATES-Programm der EU mindern die Ausbildungsfreibeträge des § 33a Abs. 2 EStG nicht, da diese Stipendien nur den mit dem Auslandsstudium verbundenen Mehrbedarf (teilweise) abdecken und eine Anrechnung dem erkennbaren Stipendienzweck entgegenliefe.

 

Normenkette

§ 33a Abs. 2 EStG

 

Sachverhalt

Die Kläger, Eheleute, beantragten in ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1995 für ihre damals 22-jährige Tochter T einen Ausbildungsfreibetrag bei auswärtiger Unterbringung. Sie studierte vom 1.1. bis 31.8.1995 an der Fachhochschule X, den Rest des Streitjahrs in Sligo, Irland. Die Tochter bezog einen Bruttoarbeitslohn von 5 847 DM. Daneben erhielt sie für die Zeit von 1.9.1995 bis 31.1.1996 ein Stipendium des ERASMUS/SOKRATES-Programms der EU in Höhe von 2 000 DM.

Nach dem Zuwendungsbescheid vom 20.10. 1995 handelt es sich hierbei um einen Zuschuss zum Ausgleich der am Regional-Technical-College, Sligo, "entstandenen auslandsbedingten Mehraufwendungen". Die im Rahmen des ERASMUS/SOKRATES-Programms vergebenen Stipendien sollen nach einem Schreiben der Fachhochschule X vom 15.4.1997 zumindest teilweise die entstehenden Kosten (Reise, evtl. Sprachvorbereitungen, höhere Lebenshaltungskosten im Ausland usw.) ausgleichen.

Das FA minderte den Ausbildungsfreibetrag um das im Streitjahr bezogene ERASMUS-Stipendium. Die dagegen erhobene Klage war vor dem BFH erfolgreich.

 

Entscheidung

Zwar seien Eltern nach § 1610 Abs. 1 und 2 BGB im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verpflichtet, für alle Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Berufsausbildung ihrer Kinder anfallen, aufzukommen, also auch für Sonderbedarf, sofern dieser nach dem Ausbildungsgang notwendigerweise oder vereinbarungsgemäß anfalle. Leistungen aus öffentlichen Mitteln, die einen ausbildungsbedingten Sonderbedarf des unterhaltsberechtigten Kindes abdeckten, den zu leisten die Eltern danach bürgerlich-rechtlich verpflichtet seien, minderten die Unterhaltsverpflichtungen von Eltern und rechtfertigen daher die Kürzung des Ausbildungsfreibetrags nach § 33a Abs. 2 EStG.

Der Wortlaut der Vorschrift sei aber, gemessen an dem erkennbaren Zweck der Vorschrift, zu weit geraten und erfasse auch Stipendien, die Kosten abgelten sollen, zu denen Eltern zivilrechtlich nicht verpflichtet seien, ferner Stipendien, die eine besondere Leistung belohnen oder ein bestimmtes Verhalten der Stipendiaten fördern wollten. Der Wortlaut der Vorschrift sei ihrem Zweck entsprechend dahingehend einzuschränken (sog. teleologische Reduktion oder Restriktion), dass derartige Stipendien nicht anzurechnen seien.

 

Hinweis

§ 33a Abs. 2 EStG bestimmt, dass sich der Ausbildungsfreibetrag u.a. um Ausbildungshilfen aus öffentlichen Mitteln mindert. Dies ist deshalb gerechtfertigt, weil sich die Unterhaltsverpflichtungen von Eltern gegenüber ihren Kindern mindern, wenn deren Unterhalt ganz oder teilweise, z.B. über Leistungen nach dem BAföG, sichergestellt ist. Unter Ausbildungshilfen fallen aber auch Stipendien, die nicht die üblichen Kosten für Unterhalt und Berufsausbildung, sondern Mehraufwendungen, die z.B. mit einem Studienaufenthalt an einer ausländischen Hochschule verbunden sind, abdecken.

Eine Anrechnung dieser Ausbildungshilfen verbietet sich nach Auffassung des BFH trotz des entgegenstehenden Wortlauts in § 33a Abs. 2 EStG dann, wenn Eltern zu diesen Leistungen zivilrechtlich nicht verpflichtet sind, so dass sich ihre Unterhaltslasten durch diese Stipendien nicht mindern. Das ist z.B. dann der Fall, wenn das Stipendium die Studiengebühren einer privaten ausländischen Universität abdeckt, um den Stipendiaten ein Auslandsstudium zu ermöglichen.

Eltern sind in der Regel zivilrechtlich nicht verpflichtet, ihren Kindern ein Studium an einer ausländischen privaten Universität zu finanzieren, insbesondere wenn an einer inländischen staatlichen Hochschule derselbe Abschluss erlangt werden kann. Darüber hinaus bezwecken diese Stipendien häufig, ein bestimmtes Verhalten des Beihilfeempfängers zu fördern oder eine bestimmte Leistung zu belohnen. Würden sie auf den Ausbildungsfreibetrag angerechnet, würde der Förderzweck vereitelt. Werden etwa Studenten für besondere Leistungen Zuschüsse gewährt, damit sie sich ein besonderes Musikinstrument oder einen leistungsstarken Rechner kaufen können, wäre es mit dem belohnenden Charakter der Ausbildungshilfe nicht vereinbar, diese Zahlungen auf den Ausbildungsfreibetrag anzurechnen.

Stipendien des ERASMUS/SOKRATES-Programms der EU dienen der europäischen Integration. Sie wollen die Mobilität europäischer Studenten fördern und ihnen einen Studienaufenthalt in einem anderen EU-Land ermöglichen. Die Stipendien decken nur die durch den Aufenthalt im Ausland entstehenden Mehrkosten ab. Würden diese Stipendien auf den Ausbildungsfreibetrag angerechnet, könnte der Entzug dieser Mittel dazu führen, dass der Anreiz für Studien an Hochschulen anderer EU-Länder wegen der hierfür anfallenden Mehrkosten entfiele.

Außerdem ist zweife...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Finance Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge