Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
Die Festsetzung von Aussetzungszinsen kommt nicht in Betracht, solange ein Klageverfahren gegen einen Grundlagenbescheid nicht endgültig abgeschlossen ist, auch wenn der Steuerpflichtige selbst nicht Kläger, sondern Beigeladener ist.
Normenkette
§ 237 AO
Sachverhalt
Der Kläger war Mitglied einer GbR. 1993 schied er aus der Gesellschaft aus. Gegen die einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsbescheide für die GbR hatten sowohl der Kläger als auch die GbR Einspruch eingelegt. Nachdem das für die GbR zuständige FA im Rahmen des Einspruchsverfahrens die Vollziehung der angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheide ausgesetzt hatte, setzte das FA des Klägers die Vollziehung der Bescheide über Einkommensteuer aus.
Das für die GbR zuständige FA gab dem Einspruchsbegehren teilweise statt. Mehrere Gesellschafter der GbR erhoben dagegen Klage, die beim Niedersächsischen FG unter dem Aktenzeichen 12 K 61/07 als Klage der GbR geführt wird. Der Kläger und der weitere ausgeschiedene Gesellschafter wurden zu diesem Verfahren gem. § 60 Abs. 3 FGO notwendig beigeladen.
Nach der Einspruchsentscheidung vertrat das FA die Auffassung, hinsichtlich der Feststellungsbescheide gegenüber der GbR als Grundlagenbescheide für die Einkommensteuerbescheide der Kläger sei zu deren Lasten mit Ablauf der Klagefrist Bestandskraft eingetreten. Entsprechend setzte das FA Aussetzungszinsen gem. § 237 AO für die ausgesetzten Einkommensteuerbeträge fest.
Der dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das FG statt (Niedersächsisches FG vom 8.7.2010, 10 K 123/09, Haufe-Index 2379506, EFG 2010, 1765).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Die Auffassung des FG, das FA habe gegenüber den Klägern noch keine Aussetzungszinsen gem. § 237 AO festsetzen dürfen, halte der revisionsrechtlichen Prüfung stand. Im Einzelnen kann auf die Praxis-Hinweise verwiesen werden.
Hinweis
1. Aussetzungszinsen entstehen gem. § 237 Abs. 1 Satz 1 AO, wenn der förmliche außergerichtliche Rechtsbehelf oder die Anfechtungsklage, derentwegen der angefochtene Bescheid ausgesetzt ist, endgültig keinen Erfolg gehabt hat.
2. Dies gilt entsprechend, wenn – wie im Streitfall – nach Einlegung eines förmlichen Rechtsbehelfs gegen einen Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO) oder eine Rechtsbehelfsentscheidung über einen Grundlagenbescheid die Vollziehung eines Folgebescheids ausgesetzt wurde (§ 237 Abs. 1 Satz 2 AO).
3. Ob ein Rechtsbehelf Erfolg hatte oder nicht, bemisst sich nach dem Verfahrensgegenstand und dem konkretisierten Rechtsbehelfsbegehren und ist unabhängig von der verfahrenstechnischen Art der Erledigung.
a) "Endgültig keinen Erfolg gehabt" hat der Rechtsbehelf insbesondere dann, wenn er durch unanfechtbare Entscheidung abgewiesen, vom Rechtsbehelfsführer zurückgenommen oder eingeschränkt worden ist, wenn mithin das FA dem Begehren, den festgesetzten Steuerbetrag herabzusetzen, im Ergebnis nicht abhilft, gleich aus welchem Grunde.
b) Bei der Anfechtung eines Grundlagenbescheids ist es ausreichend, dass überhaupt ein (zulässiger) Rechtsbehelf gegen den Grundlagenbescheid geführt wird, sofern der Kläger im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung über den Zinsbescheid notwendig zum Verfahren gegen den Grundlagenbescheid beigeladen worden ist.
aa) Der Wortlaut des § 237 Abs. 1 AO zwingt nicht zu dem Schluss, dass gerade der Einspruch oder die Anfechtungsklage desjenigen Steuerpflichtigen, dem AdV bewilligt worden ist, endgültig keinen Erfolg gehabt hat. Die Regelung setzt lediglich voraus, dass überhaupt ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage endgültig keinen Erfolg gehabt hat.
Danach kommt die Festsetzung von Aussetzungszinsen nicht in Betracht, solange ein Rechtsbehelfsverfahren gegen den Grundlagenbescheid – auch wenn ein solches nicht vom Kläger selbst betrieben wird – nicht endgültig abgeschlossen ist. Denn erst danach kann beurteilt werden, ob der Rechtsbehelf endgültig erfolglos geblieben ist.
bb) Diese Auslegung gebietet auch der Zweck der gesonderten und einheitlichen Feststellung. Der einheitliche Feststellungsbescheid enthält lediglich einen Verwaltungsakt. Es handelt sich daher um eine notwendig einheitliche Feststellung gegenüber allen Feststellungsbeteiligten. Über die Rechtmäßigkeit des Bescheids kann deshalb nur einheitlich und gleichzeitig entschieden werden, weshalb klagebefugte, jedoch nicht selbst klagende Feststellungsbeteiligte notwendig zu einem Rechtsbehelfsverfahren hinzuzuziehen oder im Klageverfahren beizuladen sind. Dieses Gebot der Einheitlichkeit (§ 179 Abs. 2 AO) hat zur Folge, dass sich das Ergebnis eines derartigen Klageverfahrens auch auf Feststellungsbeteiligte auswirken muss, die das Klageverfahren selbst nicht betrieben haben.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 10.10.2012 – VIII R 56/10