Entscheidungsstichwort (Thema)
Recht des Arbeitgebers zur Festlegung von Arbeitsbedingungen wegen COVID-19. Ausformung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung durch Hygienekonzept. Verlust des Entgeltanspruchs bei Ablehnung der COVID-Bedingungen des Arbeitgebers. Kein Entgeltanspruch bei Leistungsunwilligkeit. Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung bei betrieblichem Betretungsverbot
Leitsatz (amtlich)
Ein Arbeitgeber kann zum Schutz seiner Beschäftigten vor einer Infektion mit dem Coronavirus die Art und Weise der Arbeitserbringung und Ordnung und Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb regeln, und zwar auch mit der Folge, dass derjenige Arbeitnehmer, der nicht bereit ist, seine Arbeitsleistung entsprechend der (zulässigen) Festlegung zu erbringen, mittelbar seinen Entgeltanspruch verliert.
Er kann aber nicht ohne Konkretisierung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung unmittelbar über den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers disponieren.
Normenkette
BGB §§ 615, 294, 297; GewO §§ 106, 106 S. 1; ZPO § 97 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 03.03.2021; Aktenzeichen 39 Ca 13047/20) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 03.03.2021 - 39 Ca 13047/20 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen, soweit sich die Beklagte gegen die Verurteilung gemäß dem arbeitsgerichtlichen Tenor zu I. wendet.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Vergütungsansprüche des Klägers für August 2020 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges sowie über Urlaubsansprüche.
Die Beklagte produziert Lebensmittel für den Lebensmittelhandel. Sie unterhält einen Betrieb in Berlin. Sie gehört dem Konzern der S AG an. Der Kläger ist bei der Beklagten als Leiter der Nachtreinigung beschäftigt.
Zur Überprüfung und Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung im Hinblick auf erforderliche Maßnahmen des betrieblichen Infektionsschutzes stellte die Beklagte ein Corona-Konzept auf und aktualisierte dieses fortlaufend. Dazu war bei der Muttergesellschaft der Beklagten, der S AG, eine Corona-Taskforce eingerichtet, an welcher der Gesamtbetriebsrat der S AG mitwirkt. Die Taskforce erstellte für alle Unternehmen des Konzerns ein Hygienekonzept, das in allen Unternehmen entsprechend umgesetzt wurde. Der Betriebsrat des Werks Berlin wurde über die Änderungen der Gefährdungsbeurteilung unterrichtet.
Die Beklagte richtete an ihre Mitarbeiter eine Mitarbeiterinformation vom 17. Juni 2020 (Anlage B 6, Blatt 62 bis 63 der Akte), welche unter anderem den nachstehenden Inhalt hat:
"Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat gestern eine aktuelle Liste von internationalen Risikogebieten veröffentlicht, in der vielleicht auch Ihr Reisegebiet aufgeführt ist. Hier nur ein kleiner Auszug: Türkei, Ägypten, Dominikanische Republik, Ghana, Kuba, Marokko, Nigeria, Schweden, Sri Lanka, Thailand usw.
Bitte informieren Sie sich im Vorfeld über Reisewarnungen, Quarantäneverpflichtungen usw. für Ihr gewähltes Reiseland, auf der Website des RKI: www.rki.de
Zwingende 14 tägige Quarantäne nach Rückkehr aus dem Risikogebiet
Wer seinen Urlaub in einem dieser Risikogebiete verbringt, muss sich bei seiner Rückkehr, unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Wohnung (bzw. Haus oder eine andere geeignete Unterkunft) begeben und sich dort, für einen Zeitraum von 14 Tagen nach der Einreise, ständig aufhalten. Während der Quarantäne ist jeder Kontakt mit Personen, die nicht dem eigenen Haushalt angehören, strikt zu meiden. Darüber hinaus besteht die Pflicht, sich unverzüglich beim zuständigen Gesundheitsamt zu melden und auf die Einreise aus dem Risikogebiet hinzuweisen. Die Meldung bei anderen Stellen - Hausarzt, kassenärztliche Dienste usw. - ersetzt die verpflichtende Kontaktaufnahme mit dem Gesundheitsamt nicht. Wer gegen die Verordnung verstößt, muss mit empfindlichen Bußgeldern rechnen.
Was bedeutet das für Sie und Ihre Arbeit?
Sie verlieren für die Zeit einer erforderlichen Quarantäne, wie auch einer tatsächlichen COVID-19 Erkrankung Ihre Lohnfortzahlungsansprüche.
Wir bitten Sie eindringlich, von Reisen in Risikogebiete Abstand zu nehmen."
Das Hygienekonzept der Beklagten Stand 3. August 2020 enthält unter anderem folgendes:
"1 Allgemeine Hygiene- und Verhaltensregeln
...
Rückkehr aus dem Urlaub
• Unterzeichnung einer Selbsterklärung auf Basis des Vordruckes der Personalabteilung
• Selbsterklärung ist nach jedem Urlaub (≫ 3 Tage) erneut abzugeben
• Zutrittskarten werden seitens Personalabteilung bei Urlaub (≫ 3 Tage) automatisch gesperrt
• Zutrittskarten werden nach Abgabe der Selbsterklärung am ersten Arbeitstag nach dem Urlaub an der Pforte bzw. am Empfang entsperrt
• Eine Liste der Risikogebiete ist bei der Pforte bzw. am Empfang verfügbar, z.B. Ausdruck (Als Risikogebiete gelten die von den zuständigen Behörden veröffentlichten Gebiete/Länder, für die Reisewarnungen, Reiseverbote oder Quarantäneverpflichtungen bei der ...