Leitsatz

1. Die steuerrechtlich und die insolvenzrechtlich unterschiedliche Bewertung der LSt-Abführungspflicht des Arbeitgebers in insolvenzreifer Zeit kann zu einer Pflichtenkollision führen. Eine solche steht der Haftung des Geschäftsführers wegen Nichtabführung der LSt aber jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Insolvenzverwalter die Beträge im gedachten Fall der pflichtgemäßen Zahlung der LSt vom FA deshalb nicht herausverlangen kann, weil die Anfechtungsvoraussetzungen nach §§ 129 ff. InsO nicht vorliegen.

2. Die gesellschaftsrechtliche Pflicht des Geschäftsführers zur Sicherung der Masse i.S.d. § 64 Abs. 2 GmbHG kann die Verpflichtung zur Vollabführung der LSt allenfalls in den drei Wochen suspendieren, die dem Geschäftsführer ab Kenntnis der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit der GmbH nach § 64 Abs. 1 GmbHG eingeräumt sind, um die Sanierungsfähigkeit der GmbH zu prüfen und Sanierungsversuche durchzuführen. Nur in diesem Zeitraum kann das die Haftung nach § 69 AO begründende Verschulden ausgeschlossen sein.

 

Normenkette

§ 34, § 35, § 69 AO, § 823 Abs. 2 BGB, § 38, § 41a, § 42d EStG, § 64 GmbHG, § 129 InsO, § 266a StGB

 

Sachverhalt

Der Geschäftsführer einer GmbH stellte am 2.2.1999 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Das Verfahren wurde am 1.4.1999 eröffnet. Die am 17.2.1999 bestellte vorläufige Insolvenzverwalterin sah die GmbH als zahlungsunfähig und überschuldet an, seit über das Vermögen einer Großauftraggeberin mit Beschluss vom 21.1.1999 am 8.2.1999 das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei.

Der Geschäftsführer wird vom FA auf Haftung für LSt 11 und 12/1998 und 1/1999 in Anspruch genommen. Die LSt 11/1998 und 12/1998 war im Lastschriftverfahren am 20.12.1998 bzw. am 22.1.1999 eingezogen, auf Veranlassung des Geschäftsführers aber am 5.2.1999 wieder zurückgebucht worden. Die Zahlung der LSt 1/1999 wurde von der Bank Ende Februar 1999 wegen fehlender Deckung des Kontos der GmbH abgelehnt. Allerdings tilgte die GmbH noch am 14.1.1999 offene LSt 1993. Die Kontokorrentkreditlinie war von der Bank wegen des Insolvenzantrags am 8.2.1999 mit Wirkung zum 28.2.1999 gekündigt worden.

Einspruch und Klage (EFG 2006, 86) blieben erfolglos.

 

Entscheidung

Der Geschäftsführer haftet möglicherweise für LSt 1/1999, wo das FG noch eine Verletzung der "Bereithaltungspflicht" prüfen soll. Denn im Übrigen hätte er entweder die LSt abführen bzw. ihren Rückruf unterlassen müssen oder mit einem Insolvenzantrag nicht länger zögern dürfen.

 

Hinweis

Ob ein hypothetischer Kausalverlauf wie eine mögliche Insolvenzanfechtung bei LSt-Abführung vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bei der Haftungsinanspruchnahme berücksichtigt werden kann (was nach der Rechtsprechung des BGH zu vergleichbaren Situationen der Fall ist), hat der BFH in dieser Entscheidung offen gelassen (siehe aber jetzt das Urteil VII R 65/05 im nächsten Heft). Die Besprechungsentscheidung betrifft einen Fall, in dem eine Insolvenzanfechtung mangels Kenntnis des FA von der Insolvenz ohnehin nicht in Betracht gekommen wäre. Das hat der BFH dem pflichtvergessenen Geschäftsführer entgegen gehalten.

Der BFH gestattet aber jetzt dem Geschäftsführer in einem zeitlich eng begrenzten Zeitrahmen, der Haftung nach § 69 AO entgegenzuhalten, dass er gem. § 64 Abs. 2 GmbHG der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet ist, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Der Vorrang der Massesicherung, den diese Vorschrift verwirklicht, besteht aber nur in dem von § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG vorgesehenen Zeitraum:

Der Geschäftsführer hat also ab Kenntnis der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit drei Wochen Zeit, sich schlüssig zu werden, ob er Insolvenzantrag stellt oder die Sanierung der GmbH in Angriff nehmen kann; dann muss er aber auch LSt entrichten! Nur innerhalb dieses Drei-Wochen-Zeitraums ist seine Pflicht zur Abführung der einbehaltenen LSt suspendiert (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 30.7.2003, 5 StR 221/03, DStR 2005, 1867). Wenn die Löhne innerhalb dieses dreiwöchigen Sanierungszeitraums vor Insolvenzantragstellung gezahlt worden sind, obwohl die darauf zu entrichtende LSt nicht abgeführt werden konnte, so ist dies mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers in der Insolvenzsituation zu vereinbaren, der den Geschäftsbetrieb möglichst ungestört aufrechterhalten muss; deswegen kann nicht verlangt werden, in dieser Situation die Löhne zu kürzen, um die LSt zahlen zu können. Das diesbezügliche Unterlassen ist keine haftungsbegründende schuldhafte Pflichtverletzung i.S.d. § 69 AO.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 27.2.2007, VII R 67/05

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