Leitsatz
Eine nach Eintritt der formellen Bestandskraft des Schenkungsteuerbescheids abgegebene Erklärung des Schenkers, den Freibetrag für die Übertragung von Betriebsvermögen nach § 13 Abs. 2a Satz 1 Nr. 2 ErbStG bis Ende 1995 (§ 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ErbStG in der seit 1996 geltenden Fassung) in Anspruch zu nehmen, ist als rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO anzusehen, solange es hinsichtlich der Wertansätze des übertragenen Betriebsvermögens noch an einer endgültigen Schenkungsteuerfestsetzung fehlt und insoweit eine Änderung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO unter Berücksichtigung der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 8 Satz 1 AO noch möglich ist (entgegen Tz. 3.2 der Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 29.11.1994, BStBl I 1994, 905 sowie R 58 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2003). § 175 Abs. 1 Satz 2 AO ist nicht anwendbar.
Normenkette
§ 165 Abs. 1 und Abs. 2 AO , § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO , § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ErbStG
Sachverhalt
Im Dezember 1994 übertrug der Onkel des Klägers diesem und dessen beiden Geschwistern im Weg vorweggenommener Erbfolge jeweils ein Drittel seiner Beteiligungen an zwei Personengesellschaften. Das FA setzte die Schenkungsteuer wegen der auf den 1.1.1995 noch nicht festgestellten Einheitswerte des Betriebsvermögens der Gesellschaften unter der Verwendung der Einheitswerte auf den 1.1.1994 vorläufig fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Nach Feststellung der (niedrigeren) Einheitswerte auf den 1.1.1995 beantragte der Kläger, den Bescheid zu ändern und das Betriebsvermögen steuerfrei zu belassen. Dem war eine Erklärung des Onkels beigefügt, wonach der Freibetrag gem. § 13 Abs. 2a ErbStG a.F. in Anspruch genommen und auf die drei Bedachten zu gleichen Teilen aufgeteilt werden solle. Das FA trug zwar im Änderungsweg nach § 165 Abs. 2 AO den niedrigeren Einheitswerten Rechnung, lehnte aber die Gewährung eines anteiligen Freibetrags nach § 13 Abs. 2a ErbStG a.F. ab.
Demgegenüber sah das FG in der nachträglichen Inanspruchnahme des Freibetrags ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und gab der Klage statt. Dagegen legte das FA Revision ein.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Ob ein Ereignis ausnahmsweise in die Vergangenheit zurückwirkt, richtet sich allein nach den Normen des jeweiligen materiellen Steuerrechts. Es muss ein Bedürfnis bestehen, eine schon bestandskräftige Regelung an die nachträgliche Sachverhaltsänderung anzupassen. Ein solches Bedürfnis besteht nicht mehr, wenn bereits eine hinsichtlich der Wertansätze endgültige Steuerfestsetzung vorliegt und diese bestandskräftig geworden ist.
Dagegen ist in Fällen wie dem vorliegenden ein derartiges Bedürfnis gegeben, und zwar so lange, wie hinsichtlich der Wertansätze des Betriebsvermögens noch keine endgültige Steuerfestsetzung vorgenommen worden und insoweit eine Änderung nach § 165 Abs. 2 AO unter Berücksichtigung der Ablaufhemmung noch möglich ist. Denn vor einer endgültigen Festsetzung fehlt es dem Schenker noch an einer hinreichend sicheren Grundlage für seine Entscheidung, den Freibetrag in Anspruch zu nehmen oder für spätere Übertragungen von Betriebsvermögen vorzubehalten.
Da eine Änderung nach § 165 Abs. 2 AO nur innerhalb des durch § 171 Abs. 8 AO abgesteckten zeitlichen Rahmens erfolgen kann, ist für eine Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO kein Raum. Infolgedessen hat der Schenker nicht die Möglichkeit, das FA noch zu einem beliebig späten Zeitpunkt zu einer Änderung der Steuerfestsetzung zu zwingen.
Hinweis
Es steht außer Frage, dass bei jeder Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen – also bei einer änderungsweisen Heraufsetzung der Schenkungsteuer – der Freibetrag trotz der Bestandskraft des ursprünglichen Bescheids nachträglich noch so weit in Anspruch genommen werden kann, bis die steuerlichen Auswirkungen der nachträglichen Inanspruchnahme die Steuererhöhung vollständig ausgleichen (§ 177 Abs. 1, § 351 Abs. 1 AO). Dies gilt unabhängig davon, ob die Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen mit dem begünstigten Betriebsvermögen zusammenhängt oder nicht.
Fraglich kann immer nur sein – und zwar sowohl bei einer Änderung zu Gunsten als auch zu Ungunsten des Steuerpflichtigen – ob die Änderung eines bestandskräftigen Schenkungsteuerbescheids die Möglichkeit bietet, den Freibetrag nach § 13 Abs. 2a ErbStG a.F. / § 13a ErbStG n.F. nachträglich mit der Folge in Anspruch zu nehmen, dass (auch) das bereits im ursprünglichen Bescheid erfasste Betriebsvermögen nicht mehr berücksichtigt wird. Dies bejaht der BFH für den Sonderfall einer Änderung nach § 165 Abs. 2 AO, wenn die Vorläufigkeit des bestandskräftigen ursprünglichen Bescheids die Bewertung des Betriebsvermögens betroffen hat.
Ausdrücklich ausgeschlossen hat es der BFH, einen Schenkungsteuerbescheid dahingehend für vorläufig zu erklären, ob der Schenker noch eine Inanspruchnahmeerklärung abgeben wird. Diese Möglichkeit stellt keine Ungewissheit i.S.d. § 165 Abs. 1 AO dar.
Ist unabh...