Leitsatz
Stellt sich nach Ablauf eines Kalenderjahres heraus, dass die Einkünfte oder Bezüge eines Kindes den Jahresgrenzbetrag gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten, so ist die Familienkasse berechtigt, die Festsetzung des Kindergeldes rückwirkend mit Wirkung zu Beginn dieses Kalenderjahres aufzuheben.
Normenkette
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO , § 175 Abs. 2 AO , § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG , § 70, § 71 EStG
Sachverhalt
Der Kläger ist der Großvater eines im Jahr 1977 geborenen Kindes. Dieses befand sich 1997 in der Ausbildung. Seine Ausbildungsvergütung betrug 16 494 DM; die Werbungskosten 3 068 DM.
Der Kläger hatte im Dezember 1996 voraussichtliche Werbungskosten seines Enkels für 1997 in Höhe von 5 081 DM geltend gemacht. Auf dieser Grundlage ging die Familienkasse von Einkünften und Bezügen des Enkels für 1997 in Höhe von 11 404 DM aus. Die Familienkasse bewilligte deshalb zunächst Kindergeld von Januar bis August 1997.
Beginnend im September 1997 überprüfte die Familienkasse die Berechnung der Werbungskosten des Kindes u.a. durch Anforderung von Belegen. Sie gelangte zum Ergebnis, dass die Werbungskosten des Kindes nicht in voller Höhe anzuerkennen seien.
Mit Bescheid von 14.7.1998 hob die Familienkasse die Kindergeld-Festsetzung ab Januar 1997 wegen Überschreitens des Jahresgrenzbetrags auf und forderte das für die Monate Januar bis August 1997 gezahlte Kindergeld in Höhe von 1 760 DM zurück.
Das FG gab der auf Aufhebung der Kindergeld-Festsetzung für die Monate Januar bis Juli 1997 gerichteten Klage statt.
Entscheidung
Die erfolgreiche Revision der Familienkasse führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Dem Kläger habe kein Kindergeld für seinen Enkel zugestanden, da der Jahresgrenzbetrag in Höhe von 12 000 DM überschritten worden sei.
In den Urteilsgründen, die im Wesentlichen denjenigen im Urteil VI R 83/98 entsprechen, fügte der BFH hinzu, der Klageabweisung stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger bereits im Dezember 1996 die voraussichtlichen Werbungskosten seines Enkels mitgeteilt hatte und die Familienkasse schon damals an deren Höhe hätte zweifeln können. Maßgeblich sei, dass die tatsächliche Höhe der im Jahr 1997 anfallenden Werbungskosten zum Zeitpunkt der Prognoseentscheidung weder der Familienkasse noch dem Kläger bekannt waren. Eine abschließende Entscheidung hätte damals noch nicht getroffen werden können.
Der BFH ließ ausdrücklich offen, wie zu entscheiden wäre, wenn der Familienkasse bei feststehendem Sachverhalt ein reiner Rechtsanwendungsfehler unterlaufen wäre. Ein solcher Fall liege nicht vor.
Hinweis
Es wird auf die Praxis-Hinweise zur Entscheidung VI R 83/98 (BFH-PR 2002, 47) hingewiesen.
Die Besprechungsentscheidung betont zusätzlich, dass die Familienkasse während des Prognosezeitraums grundsätzlich zu keinen intensiven Ermittlungen gezwungen ist. Bei vernünftiger Betrachtung kann dies auch nicht anders sein. Wenn der Jahresgrenzbetrag durch Einnahmen etwa kurz vor Jahresende überschritten werden kann bzw. dies regelmäßig erst mit Ablauf des Kalenderjahres festgestellt werden kann, so erscheinen vorherige intensive Ermittlungen der Familienkasse über die Einkünfte und Bezüge des Kindes überflüssig. Die Einschätzung der Einkünfte und Bezüge des Kindes bleibt eben bis zum Jahresende eine Prognose, die regelmäßig kein Vertrauen des Kindergeldberechtigten begründen kann.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 26.7.2001, VI R 55/00