vorläufig nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Network-Marketing-Unternehmen als Liebhabereiunternehmen
Leitsatz (redaktionell)
- Zur Nichtigkeit eines VA.
- Die Nichtigkeit eines VA wird als Ausnahme von dem Grundsatz angesehen, dass ein Akt der staatlichen Gewalt die Vermutung seiner Gültigkeit in sich trägt.
- Zum Begriff der Liebhaberei.
- Bei der Frage nach dem Vorliegen einer „Liebhaberei” ist grds. auf die zu beurteilende Tätigkeit in ihrer Gesamtheit abzustellen.
- Die Frage, ob anhand der Gesamtumstände im Einzelfall ein Totalgewinn zu erwarten ist und ob ggf. eine längere Anlaufzeit anerkannt werden muss, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das FG.
Normenkette
AO § 125; EStG § 15 Abs. 2
Streitjahr(e)
2007, 2008, 2009
Tatbestand
Streitig ist, ob die angefochtenen Steuerbescheide nichtig sind und sollte dies zu verneinen sein, ist weiter streitig, ob sodann die geltend gemachten Verluste aus der selbständigen Tätigkeit anzuerkennen sind.
Der Kläger erzielte in den Streitjahren 2007 bis 2009 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus einer Vollzeitbeschäftigung. Zudem eröffnete er zum 1. Januar 2007 eine „Handelsvertretung für den Bereich Wellness, Haushalt und Bekleidung”. Es handelte sich um ein sog. Network-Marketing-Geschäft (auch Multi-Level-Marketing - MLM - genannt). Im Rahmen der Veranlagungen in den Streitjahren erklärte er folgende Einkünfte bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb aus der „Handelsvertretung”:
Jahr |
Betriebseinnahmen (inkl. USt) (€) |
Fahrt-kosten (€) |
Bewirtungs-u. Repräsentationsaufwendungen (€) |
Werbekosten (€) |
Sonstige Betriebsausgaben (€) |
Betriebsausgaben insgesamt (€) |
Verlust (€) |
2007 |
1514 |
3358 |
772 |
429 |
3091 |
7650 |
./. 6.136 |
2008 |
719 |
5268 |
1751 |
39 |
2781 |
9839 |
./. 9.120 |
2009 |
391 |
3970 |
553 |
20 |
2254 |
6797 |
./. 6.406 |
Die Verluste erkannte der Beklagte dem Grunde nach zunächst bei den Einkommensteuerveranlagungen 2007 und 2008 vorläufig an. Der Höhe nach erfolgte eine Änderung bei den Verlusten 2007 (anerkannt wurden ./. 6.096 EUR). Die Vorläufigkeit erfolgte wegen der Frage der abschließenden Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht (Liebhaberei). Nach Rückfrage und Antwort durch den Kläger änderte der Beklagte die Einkommensteuerbescheide 2007 und 2008 mit Bescheiden vom 18. Mai 2010 ab, indem die Verluste endgültig nicht mehr anerkannt wurden, da der Beklagte die Gewinnerzielungsabsicht verneinte. Auch der Verlust aus der „Handelsvertretung” des Jahres 2009 erkannte der Beklagte mit Einkommensteuerbescheid vom 18. Mai 2010 nicht an.
Gegen die Einkommensteuerbescheide 2007 bis 2009 legte der Kläger Einspruch ein, der mit Einspruchsbescheid vom 20. Juli 2010 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Dagegen erhob der Kläger Klage.
Der Kläger trägt vor, dass die Bescheide wegen des Verstoßes des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie der Abgabenordnung (AO) gegen das Grundgesetz (GG) nichtig seien. Im Einzelnen führt er dazu die Artikel 19 Abs.1 Satz 2, 14 Abs. 1, Art. 20, 6 und 12 GG zur Begründung an. Überdies sei das Niedersächsische Finanzgericht nicht zuständig. Es handele sich um einen öffentlich-rechtlichen Streit verfassungsrechtlicher Art, für den das Finanzgericht nicht zuständig sei. Hinsichtlich der Nichtanerkennung der geltend gemachten Verluste aus der „Handelsvertretung” sei der Bezug auf die BFH-Rechtsprechung nicht zulässig. Die vom BFH entschiedenen Fälle seien entweder anders gelagert oder der BFH verkenne die steuerliche Definition des Gewinns. Der Kläger habe bereits nach drei Jahren sein Gewerbe eingestellt. Der Bezug auf den Charakter der Handelsvertretung als eine Nebenerwerbsquelle sei kein Argument, das gegen die Gewinnerzielungsabsicht spreche.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Nichtigkeit der Einkommensteuerbescheide 2007 bis 2009 vom 18. Mai 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 2010 festzustellen.
hilfsweise,
die Einkommensteuerbescheide 2007 bis 2009 vom 18. Mai 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 2010 zu ändern und die Verluste aus der Tätigkeit als Handelsvertreter zu berücksichtigen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vor, dass eine Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Normen des EStG und der AO nicht festzustellen seien. Die angefochtenen Bescheide seien nicht nichtig. Auch sei die Nichtanerkennung der Verluste aus der Tätigkeit als Handelsvertreter nicht zu beanstanden. Insbesondere sei durch den Umfang der Tätigkeit (täglich max. zwei Stunden) als Nebenerwerbstätigkeit nach der Wesensart und der Betriebsführung ein Gewinn von vornherein nicht zu erzielen gewesen. Eine Gewerbeabmeldung sei bei der Gemeinde H. bis dato noch nicht erfolgt.
Entscheidungsgründe
I. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage hat keinen Erfolg.
Zwar ist die Klage zulässig; jedoch sind die streitigen Einkommensteuerbescheide 2007 bis 2009 vom 18. Mai 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 2010 nicht nichtig.
1. Nach § 41 Abs.1 Finanzger...