Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Rückstellungen vor Ablauf der Umsetzungsfrist der EG Altfahrzeugrichtlinie
Leitsatz (redaktionell)
- Für eine dem Grunde nach ungewisse Verbindlichkeit ist nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung eine Rückstellung zu bilden, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entsteht und der Steuerpflichtige daraus in Anspruch genommen wird und wenn sie ihre wirtschaftliche Verursachung im Zeitraum vor dem Bilanzstichtag findet.
- Die hinreichende Wahrscheinlichkeit ist zu bejahen, wenn mehr Gründe für als gegen das Entstehen der Verbindlichkeit und die künftige Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen sprechen.
- Bei Verpflichtungen aus öffentlichem Recht muss die öffentlich-rechtliche Verpflichtung hinreichend konkretisiert sein.
- EG-Richtlinien begründen keine hinreichend konkrete Verpflichtung einzelner Rechtssubjekte, die eine Rückstellung nach § 249 HGB rechtfertigen. Das gilt jedenfalls so lange, wie dem nationalen Gesetzgeber ein Umsetzungsspielraum verbleibt.
Normenkette
HGB § 249 Abs. 1 S. 1; KStG § 5 Abs. 1 S. 1, § 8 Abs. 1
Streitjahr(e)
2000
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob eine Organgesellschaft der Klägerin in ihrer Bilanz auf den 31. Dezember 2000 aufgrund der EG-Altfahrzeug-Richtlinie eine Rückstellung für die Rücknahme- und Verwertungsverpflichtungen für Altfahrzeuge bilden durfte.
Die Klägerin ist alleinige Gesellschafterin der A AG, deren Unternehmensgegenstand die Herstellung und der Vertrieb von Automobilen ist. Zwischen der Klägerin und ihrer Tochtergesellschaft A AG bestand (auch) im Streitjahr ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nach § 291 Abs. 1 Aktiengesetz (AktG), wonach die A AG die Leitung ihrer Gesellschaft der Klägerin unterstellt und sich verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an die Klägerin abzuführen. Demzufolge gehen beide Beteiligte davon aus, dass eine körperschaftsteuerliche Organschaft zwischen der Klägerin als Organträgerin und der A AG als Organgesellschaft besteht. Aufgrund dieser Organschaft wird das Einkommen der A AG steuerlich der Klägerin zugerechnet.
Am 18. September 2000 erließen das Europäische Parlament und der Rat die „Richtlinie 2000/53/EG über Altfahrzeuge” (EG-Altfahrzeug-Richtlinie). Die Richtlinie trat mit ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften am 21. Oktober 2000 in Kraft. Sie richtet sich an die Mitgliedstaaten (Art. 13) und verpflichtet diese, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit ein funktionierendes System zur Wiederverwendung oder sonstigen Verwertung von Altfahrzeugen errichtet wird. Insbesondere ist sicherzustellen, dass die Wirtschaftsbeteiligten (u.a. Hersteller und Vertreiber; Art. 2 Nr. 10) für alle Altfahrzeuge Rücknahmesysteme errichten und Rücknahmestellen im gesamten Hoheitsgebiet angemessen verfügbar sind (Art. 5 Abs. 1). Weiterhin haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Ablieferung eines Fahrzeugs bei einer zugelassenen Verwertungsanlage für den Letzthalter und/oder Letzteigentümer ohne Kosten aufgrund des nicht vorhandenen oder negativen Marktwertes des Fahrzeugs erfolgt (Art. 5 Abs. 4). Dazu haben die Hersteller alle Kosten oder einen wesentlichen Teil der Kosten der Durchführung der genannten Maßnahmen zu tragen und/oder Altfahrzeuge kostenfrei zurückzunehmen. Dies gilt gem. Art. 12 Abs. 2 ab dem 1. Juli 2002 für ab diesem Zeitpunkt in Verkehr gebrachte Fahrzeuge und ab dem 1. Januar 2007 für Fahrzeuge, die vor dem 1. Juli 2002 in Verkehr gebracht wurden. Nach Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie setzen die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um der Richtlinie spätestens am 21. April 2002 nachzukommen.
Im Anschluss an die Veröffentlichung der Richtlinie fanden Gespräche zwischen der Bundesregierung und verschiedenen Verbänden der Automobilindustrie (z.B. Verband der Automobilhersteller e.V. –VDA– und dem Verband der Importeure von Kraftfahrzeugen e.V. –VDIK–) zur Umsetzung der Richtlinie statt. Im Rahmen dieser Gespräche wurde auch die handels- und steuerrechtliche Behandlung von Rückstellungen aufgrund der EG-Altfahrzeug-Richtlinie erörtert. Dabei teilten das Bundesministerium der Justiz und das Bundesministerium der Finanzen dem VDA und dem VDIK mit Schreiben vom 19. Dezember 2000 mit, dass ggf. eine gesetzliche Regelung zur Rückstellungsbildung mit dem nationalen Gesetz zur Umsetzung der EG-Altfahrzeug-Richtlinie erfolgen und diese frühestens 2001/2002 wirksam werden werde. Eine Rückstellungsbildung vor diesem Zeitpunkt werde für nicht sachgerecht gehalten. Zur Begründung wurde angeführt, dass die EG-Altfahrzeug-Richtlinie den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Kostentragungspflicht Spielräume lasse. Diese würden zurzeit vom federführenden Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ausgelotet. Dabei kämen verschiedene Möglichkeiten für die Umsetzung der Richtlinie bis hin zu einer Fondslösung in Betracht, bei der je nach konkreter Ausgestaltung – etwa bei bestim...