Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausländische Betriebsstätten einer im Inland ansässigen Kapitalgesellschaft keine Arbeitgeber i.S.d. Art. 15 Abs. 2 Buchst. b OECD-MA. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VI R 26/22)
Leitsatz (redaktionell)
1. Die ausländische Betriebsstätte einer im Inland ansässigen rechtlich selbständigen Person ist als solche nicht als Arbeitgeber i.S.d. Art. 15 Abs. 2 Buchst. b) OECD-MA anzusehen.
2. Der von der Rechtsprechung entwickelte sog. wirtschaftliche Arbeitgeber-Begriff stellt auf eine „rechtlich selbständige Person“ ab.
Normenkette
AEUV Art. 45, 49, 54; EStG 2009 §§ 38, 49 Abs. 1 Nr. 4; GG Art. 3; OECD-MA 2017 Art. 15, 5; OECDMustAbk Art. 15, 5
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin als inländische Arbeitgeberin gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einen Lohnsteuerabzug vom auf Inlandsdienstreisen entfallenden Arbeitslohn der Arbeitnehmer ihrer ausländischen Betriebsstätten vorzunehmen hat.
Die Klägerin wird in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betrieben. Sie ist eine […]. Das Stammhaus der Klägerin befindet sich in A. Sie ist über Zweigniederlassungen weltweit tätig.
Im […] 2020 standen x Personen in einem zivilrechtlichen Anstellungsverhältnis zur Klägerin. Davon waren x Arbeitnehmer im Stammhaus in A tätig und die übrigen x Arbeitnehmer in ihren ausländischen Zweigniederlassungen. Im Einzelnen waren x Arbeitnehmer in […] tätig. Die bei diesen Auslandsniederlassungen tätigen Arbeitnehmer waren jeweils im betreffenden Beschäftigungsstaat wohnhaft.
Die vorgenannten auslandsansässigen Arbeitnehmer kamen in unregelmäßigen zeitlichen Abständen für kurzfristige Dienstreisen (zu Schulungen, Seminaren, Workshops, Projektarbeiten, Managementforen etc.) nach Deutschland, insbesondere zum Stammhaus nach A. Diese Inlandsdienstreisen nahmen die Arbeitnehmer im Interesse der jeweiligen Auslandszweigniederlassung vor, die neben deren kompletten Tätigkeitsvergütung auch die jeweiligen Reisekosten trug. Die gesamten mit der Tätigkeit dieser Mitarbeiter verbundenen Kosten erfasste die jeweilige Auslandsniederlassung in ihrer Buchführung und das deutsche Stammhaus erstattete diese Kosten weder ganz noch teilweise.
In der Lohnsteuer-Anmeldung für […] 2020 erklärte die Klägerin jeweils die Lohnsteuerbeträge für die im Inland ansässigen und beschäftigten Arbeitnehmer. Zusätzlich meldete sie geschätzte Lohnsteuerbeträge für Inlandsdienstreisen von Arbeitnehmern ihrer ausländischen Zweigniederlassungen entsprechend der vom Beklagten erteilten Anrufungsauskunft vom xx.xx.2017 an. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anrufungsauskunft vom xx.xx.2017 Bezug genommen.
Gegen die Lohnsteuer-Anmeldung für […] 2020 legte die Klägerin Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom xx.xx.2020 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führte er aus, dass das Besteuerungsrecht für die Dienstreisen nach Deutschland gemäß Art. 15 Abs. 1 OECD-Musterabkommen (OECD-MA) dem Tätigkeitsstaat Deutschland zustehe. Denn die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Buchst. b) OECD-MA seien nicht erfüllt, weil die Klägerin im Streitfall Arbeitgeberin der Arbeitnehmer ihrer Auslandsniederlassungen sei.
Gemäß § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a) EStG seien die Arbeitnehmer ihrer Auslandniederlassungen mit ihren inländischen Einkünften beschränkt einkommensteuerpflichtig. Sie übten ihre Tätigkeit bei den Dienstreisen nach Deutschland im Inland aus.
Gemäß Art. 15 Abs. 1 OECD-MA stehe das Besteuerungsrecht bei Einkünften aus unselbständiger Arbeit grundsätzlich dem Tätigkeitsstaat zu. Unter den Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 OECD-MA stehe das Besteuerungsrecht jedoch dem Ansässigkeitsstaat zu. Dafür dürften u.a. nach Art. 15 Abs. 2 Buchst. b) OECD-MA die Vergütungen an die Arbeitnehmer nicht von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der im Tätigkeitsstaat – Deutschland – ansässig sei.
Die Auslandniederlassungen der Klägerin kämen als Betriebsstätten nach Auffassung der Finanzverwaltung zivilrechtlich nicht als Arbeitgeberinnen i.S.d. Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) in Betracht (Hinweis auf BMF-Schreiben vom 03.05.2018, IV B 2 - S 1300/08/10027, BStBl. I 2018, 643, Rn. 123, 193; BFH-Urteil vom 29.01.1986, BStBl. II, 442 und BStBl. II, 513). Das BMF-Schreiben sei weiterhin gültig und für den Beklagten bindend.
Mit ihrer am xx.xx.2020 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Zur Begründung trägt sie u.a. vor, dass die Unterwerfung des anteilig auf die Inlandstage der auslandsansässigen Mitarbeiter entfallenden Arbeitslohns unter den deutschen Lohnsteuerabzug – entgegen der Auffassung des Beklagten – in den Fällen ausgeschlossen sei, in denen ein DBA zwischen Deutschland und dem jeweiligen Ansässigkeitsstaat bestehe. Dies ergebe sich aus einer Auslegung der maßgeblichen DBA in Orientierung am OECD-MA unter Berücksichtigung höherrangigen Rechts, d.h. einerseits des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes sowie ...