Entscheidungsstichwort (Thema)
Die Einkommensgrenze beim Kindergeld bezieht sich auf das zu versteuernde Einkommen
Leitsatz (redaktionell)
- Die kindergeldschädliche Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist entsprechend dem Gesetzeszweck über den Wortlaut der zitierten Regelung ("Einkünfte und Bezüge") hinaus auf das "zu versteuernde Einkommen" iSd. § 32 a Abs. 1 und des § 2 Abs. 5 EStG zu beziehen.
- Danach ist nicht nur der erwerbssichernde Aufwand (Werbungskosten, Betriebsausgaben), sondern auch der existenzsichernde Aufwand (Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen) zu berücksichtigen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2, § 32a Abs. 1, § 2 Abs. 5
Streitjahr(e)
1996
Nachgehend
BFH (Urteil vom 21.07.2000; Aktenzeichen VI R 8/00) |
Tatbestand
Streitig ist, ob das Kind des Kl mit seinem Einkommen die kindergeldschädliche Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) überschreitet.
Der Beklagte zahlte an den Kl im Streitjahr 1996 Kindergeld für den Sohn P. P ist im Dezember 1976 geboren und befand sich während des gesamten Jahres 1996 in einer Berufsausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Er bezog in der Zeit vom 1. Januar 1996 bis 31. Juli 1996 eine monatliche Ausbildungsvergütung in Höhe von 1.025 DM, in der Zeit vom 1. August 1996 bis 31. Dezember 1996 monatlich 1.130 DM. Daneben wurden für 1996 Urlaubsgeld in Höhe von 850,85 DM und Weihnachtsgeld in Höhe von 565 DM gezahlt. Im Übrigen bezog P von Oktober 1996 bis Dezember 1996 monatlich 67 DM Berufsausbildungshilfe. Der Beklagte ermittelte hieraus unter Berücksichtigung der Werbungskostenpauschale in Höhe von 2.000 DM und einer (anteiligen) Kostenpauschale für Bezüge in Höhe von 201 DM einen anrechenbaren Betrag von 12.440,85 DM und ging von einem Überschreiten der kindergeldschädlichen Grenze (12.000 DM) im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG aus. Das gezahlte Kindergeld für 1996 in Höhe von 2.400 DM wurde mit Bescheid vom 3. April 1997 zurückgefordert.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage begründet der Kl im Wesentlichen wie folgt: P Lebenshaltungskosten seien bei der Berechnung nicht berücksichtigt worden.
Der Kl beantragt,
den Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 3. April 1997 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 13. November 1997 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG werde ein Kind nur dann berücksichtigt, wenn es Einkünfte oder Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet seien, von nicht mehr als 12.000 DM habe. Diese Grenze sei - auch nach korrigierter Berechnung - überschritten, und zwar um 240,85 DM. Die geltend gemachten Lebenshaltungskosten des Kindes seien nicht zu berücksichtigen, weil es sich dabei nicht um berufliche Ausgaben, um Werbungskosten handele.
Dem Gericht hat die Kindergeldakte, die beim Beklagten geführt wird, vorgelegen. Wegen der rechnerischen Ermittlung des Betrags von 12.440,85 DM im Vorverfahren wird auf Blatt 262 (Rückseite) der genannten Akte, wegen der korrigierten Berechnung (12.240,85 DM) im Klageverfahren auf Blatt 27 der Finanzgerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg. Der Kl hat Anspruch auf Kindergeld für seinen Sohn P für das Jahr 1996. Der angefochtene Bescheid mit dem der Beklagte das ausgezahlte Kindergeld zurückgefordert hat, ist rechtswidrig. Das Kindeseinkommen überschreitet nicht die für die Gewährung von Kindergeld maßgebliche Einkommensgrenze von 12.000 DM.
1. Der Senat kann die Frage dahinstehen lassen, ob eine Milderungsregelung erforderlich ist, die einen gleitenden Übergang beinhaltet, wonach der Betrag, der die kindergeldschädliche Grenze überschreitet, vom vollen Kindergeldbetrag abzuziehen ist (strukturell ähnlich etwa: §§ 16 Abs. 4, 33 a Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Satz 2, 46 Abs. 5 EStG; kritisch zur starren Grenzziehung: Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum KStG und EStG, Loseblatt, § 32 Anm. 130, Stand 1997, mit Hinweis auf BVerfGE 87, 153, 177; in diesem Sinne auch Paus, FR 1996, 337, 339 f.; Kulmsee, DStZ 1998, 14, 23). denn der Klage ist bereits in vollem Umfang aus anderen Gründen stattzugeben.
2. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Abs. 4 Satz 2 EStG sind erfüllt. P ist das leibliche Kinde des Kl. Er hatte im Streitjahr das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet und befand sich in Berufsausbildung. Auch die im Streitfall allein streitige Einkommensgrenze von 12.000 DM wurde nicht überschritten.
Für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen Kindergeld gezahlt, wenn das Einkommen (zuzüglich der Bezüge), das zur Bestreitung seines Unterhalts oder seiner Berufsausbildung geeignet ist, im Kalenderjahr 1996 12.000 DM nicht überschreitet. Zwar spricht die einschlägige gesetzliche Regelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nur von "Einkünften und Bezügen". Der Senat ist aber der Auffassung, dass die Einkommensgrenze im Wege der...