Leitsatz
Art. 23 Abs. 3 DBA Kanada 1981 enthält keine Rückfallklausel in dem Sinn, dass das Besteuerungsrecht für Einkünfte, die einem ausschließlichen Besteuerungsrecht des Quellenstaats unterfallen, bei Nichtausübung desselben an den Ansässigkeitsstaat zurückfiele (Aufgabe der Rechtsauffassung im Senatsurteil vom 5.2.1992, I R 158/90 (BStBl II 1992, 660).
Normenkette
Art. 19 Abs. 1 Buchst. a und b DBA-Kanada 1981 , Art. 23 Abs. 2 Buchst. a Satz 1, Abs. 3 DBA-Kanada 1981
Sachverhalt
Die Beteiligten stritten darüber, ob Art. 23 Abs. 3 DBA Kanada 1981 als Rückfallklausel (subject-to-tax-Klausel) zu qualifizieren ist und auch dann eingreift, wenn dem Quellenstaat nach dem DBA ein ausschließliches Besteuerungsrecht zugewiesen ist.
Die Klägerin ist kanadische und englische Staatsangehörige. Sie hatte in den Streitjahren (1996 und 1997) ihren Wohnsitz und den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Inland, wo sie bei der kanadischen Botschaft angestellt war. Die Bezüge aus ihrer dortigen Tätigkeit wurden in Kanada nicht besteuert. Die kanadische Steuerverwaltung vertrat die Auffassung, dass eine Besteuerung der Bezüge in Deutschland zu erfolgen habe. Neben ihren vorgenannten Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit bezog die Klägerin Einkünfte aus Kapitalvermögen.
Die Klägerin meinte, die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit seien in Deutschland steuerfrei, weil nach Art. 19 Abs. 1 Buchst. a DBA Kanada 1981 das Besteuerungsrecht ausschließlich dem Kassenstaat Kanada zugewiesen sei. Ihre Klage blieb erfolglos (EFG 2002, 447).
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und gab der Klage statt, weil er von seiner bisherigen Rechtsauffassung zur Deutung des Art. 23 Abs. 3 DBA Kanada abrückte und darin keine Rückfallklausel erblickte. Die Gründe ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen.
Hinweis
1.Art. 19 Abs. 1 Buchst. a DBA Kanada 1981 können Vergütungen, die von einem Vertragsstaat an eine natürliche Person für die diesem Staat geleisteten Dienste aus einer öffentlichen Kasse gezahlt werden, nur in diesem Staat besteuert werden. Dies gilt gem. Art. 19 Abs. 1 Buchst. b DBA Kanada 1981 bei im anderen Vertragsstaat von einer dort ansässigen Person geleisteten Diensten nur dann nicht, wenn die Person nicht Staatsangehörige des in Buchst. a genannten Vertragsstaats ist. Die Steuerbefreiung ergibt sich dann allein aus Art. 19 Abs. 1 Buchst. a DBA Kanada 1981, ohne dass insoweit auf Art. 23 Abs. 2 Buchst. a DBA Kanada 1981, den sog. Methodenartikel, zurückzugreifen wäre. Das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats ist unter diesen Umständen nach Maßgabe der Art. 6 bis 22 des einschlägigen DBA ausgeschlossen, wenn die Einkünfte danach "nur" im Quellenstaat besteuert werden können.
2. Nichts anderes ergibt sich, wenn Kanada (wie im Urteilsfall) tatsächlich auf sein Besteuerungsrecht verzichtet und dies nicht wahrnimmt. Zwar regelt Art. 23 Abs. 3 DBA Kanada 1981, dass für "Zwecke dieses Artikels" Gewinne oder Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person als aus Quellen innerhalb des anderen Vertragsstaats stammend gelten, wenn sie in Übereinstimmung mit diesem Abkommen im anderen Vertragsstaat besteuert werden. Aus dieser Formulierung lässt sich aber nicht im Umkehrschluss folgern, dass im Fall der Nichtausübung des Besteuerungsrechts durch den Quellenstaat dieses Recht an den Ansässigkeitsstaat zurückfiele. Es handelt sich bei Art. 23 Abs. 3 DBA Kanada 1981 sonach (nur) um eine Regelung zur Bestimmung der Einkunftsquelle, nicht um eine Rückfallklausel ("subject to tax").
Dass das im Ergebnis zu einer sog. Keinmalbesteuerung der betreffenden Einkünfte, also zu sog. weißen Einkünften, führen kann, nimmt der BFH hin.. Es entspricht vielmehr, so der BFH, dem "natürlichen Interesse der Vertragsstaaten (...), dass der Verzicht auf die Besteuerung der aus dem eigenen Staat stammenden Einkünfte dem Steuerpflichtigen selbst und nicht dem jeweils anderen Staat zugute kommen soll".
3. Mit Urteil vom 5.2.1992, I R 158/90 (BStBl II 1992, 660) hatte der BFH allerdings noch anders entschieden. Diese Rechtsprechung wurde nun explizit aufgegeben.
Allerdings: Im Rahmen des Progressionsvorbehalts gem. § 32b EStG könnten sich die besagten Einkünfte dennoch (und immerhin) niederschlagen.
4. Anzumerken ist, dass das Ganze im neuen DBA Kanada 2001 anders geregelt ist: Die neue Kassenstaatsregelung des Art. 19 Abs. 1 Buchst. b DBA Kanada 2001 überlässt dem Wohnsitzstaat das Besteuerungsrecht, wenn der dort wohnende Staatsangehörige des anderen Vertragsstaats zwar aus dessen öffentlichen Kassen bezahlt wird, in diesem Staat dennoch nicht besteuert wird. Darin liegt implizit dann der "Besteuerungsrückfall" zum Wohnsitzstaat. Auf eine neuerliche Quellenregelung, wie sie in Art. 23 Abs. 3 DBA Kanada 1981 enthalten war, wurde verzichtet.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.12.2003, I R 14/02