Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Der Betriebssitz des Arbeitgebers, den der Arbeitnehmer zwar regelmäßig, aber lediglich zu Kontrollzwecken aufsucht, ohne dort seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit nachzugehen, ist nicht die regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG.
2. Nutzt der Arbeitnehmer den ihm überlassenen Dienstwagen für Fahrten zum Betriebssitz seines Arbeitgebers, der nicht die regelmäßige Arbeitsstätte ist, so steht ihm dafür die Entfernungspauschale nicht zu. Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 S. 1 EStG kann er nur abziehen, soweit ihm dafür Aufwendungen entstehen.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, § 19 Abs. 1 EStG
Sachverhalt
K war angestellter Außendienstmitarbeiter der KG. Ursprünglich war vereinbart, dass K wie alle Außendienstmitarbeiter täglich direkt von seiner Wohnung in das jeweilige Einsatzgebiet fahren. Aber seit den Streitjahren (2001 – 2004) musste K zu Kontrollzwecken und für Absprachen mit dem Kundenberater täglich zunächst die Betriebsstätte in B aufsuchen. Dort stand ihm allerdings kein eingerichteter Arbeitsplatz zur Verfügung. K hatte ein Firmenfahrzeug, das er auch privat nutzen durfte und mit der 1 %-Regelung versteuert wurde. Für die Fahrten zwischen der Wohnung und der Betriebsstätte in B wurde die 0,03 %-Zuschlagsregelung allerdings nicht angewandt. K machte mit den ESt-Erklärungen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und Verpflegungsmehraufwand geltend und wurde dementsprechend erklärungsgemäß veranlagt. Nachdem das FA den Sachverhalt später weiter aufgeklärt hatte, berücksichtigte es Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, erhöhte aber nach § 8 Abs. 2 S. 3 EStG den Bruttoarbeitslohn für die Nutzung des Firmenfahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Dagegen brachte K vergeblich vor, dass die Betriebsstätte der KG nicht die regelmäßige Arbeitsstätte sei (FG Münster, Urteil vom 24.04.2009, 10 K 1010/07 E, EFG 2010, 562).
Entscheidung
Der BFH gab mit den neuen Rechtsgrundsätzen zur regelmäßigen Arbeitsstätte der Klage insoweit statt, wie es unter Verrechnung der bisher angesetzten Entfernungspauschale und der nicht mehr anzusetzenden 0,03 %-Zuschlagsregelung zu einer Minderung der Einkünfte führte. (Nur) insoweit war die Revision begründet.
Hinweis
Der Besprechungsfall betrifft wie die beiden weiteren Urteile vom 09.06.2011 (VI R 55/10, VI R 36/10) jeweils die regelmäßige Arbeitsstätte und veranschaulicht deren Mindestvoraussetzungen.
1. Der Kläger wandte sich gegen die Zuschlagsregelung für die von ihm durchgeführten Fahrten nach B. Arbeitsstätte im Sinne der Zuschlagsregelung des § 8 Abs. 2 S. 3 EStG ist der Arbeitsstättenbegriff des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG i.V.m. den neuen Rechtsgrundsätzen zur Auslegung der regelmäßigen Arbeitsstätte (BFH, Urteil vom 09.06.2011, VI R 55/10, BFH/NV 2011, 1764, BFH/PR 2011, 411). Entscheidend ist der ortsgebundene Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit. Diese bestimmt sich nach den qualitativen Merkmalen der Arbeitsleistung, die der Arbeitnehmer an dieser Arbeitsstätte im Einzelnen wahrnimmt oder wahrzunehmen hat, sowie nach dem konkreten Gewicht der dort verrichteten Tätigkeit. Deshalb kann – wie auch nach alter Rechtslage – der Arbeitnehmer die regelmäßige Arbeitsstätte am Betriebssitz des Arbeitgebers oder an einer sonstigen ortsfesten dauerhaften betrieblichen Einrichtung haben. Vorausgesetzt, der Arbeitnehmer ist dieser zugeordnet, sucht diesen Ort fortdauernd und immer wieder auf und wird dort schwerpunktmäßig tätig. Beachte: Auch an diesem Fall zeigt sich, dass das Aufsuchen einer Einrichtung des Arbeitgebers für sich allein nicht ausreicht, um eine regelmäßige Arbeitsstätte zu begründen. Das ist eine Änderung gegenüber früheren Entscheidungen (z.B. BFH, Urteil vom 05.08.2004, VI R 40/03, BFH/NV 2004, 1593, BFH/PR 2004, 476, Heimatflughafen einer Flugbegleiterin).
2. Weil K den Betriebssitz in B lediglich zu Kontrollzwecken aufgesucht hatte, ohne dort ansonsten beruflich tätig gewesen zu sein – und wohl auch nicht hätte tätig werden können, weil er dort keinen Arbeitsplatz zur Verfügung hatte –, war der Betriebssitz in B keine Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG. Die Revision des K war aber nur insoweit erfolgreich, als die Fahrten keine "zur regelmäßigen Arbeitsstätte" waren; denn für die konnte K nicht die Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG) beanspruchen. Und ein Werbungskostenabzug nach der Grundnorm des § 9 Abs. 1 S. 1 EStG schied aus, weil K für die Fahrten nach B keine eigenen Aufwendungen hatte. Denn er nutzte dafür einen vom Arbeitgeber überlassenen Dienstwagen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 09.06.2011 – VI R 58/09