Leitsatz
Für die Zwecke der Anwendung von Art. 13 Teil B Buchst. b der 6. EG-RL sind die Vermietung eines Grundstücks und die Dienstleistung der Reinigung seiner Gemeinschaftsräume unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als selbstständige, voneinander trennbare Umsätze anzusehen, sodass diese Dienstleistung nicht unter diese Bestimmung fällt.
Normenkette
Art. 13 Teil B Buchst. b der 6. EG-RL (§ 4 Nr. 12 UStG)
Sachverhalt
Tellmer Property war Eigentümerin von Häusern mit Mietwohnungen. Zusätzlich zur Mietzahlung verlangte sie von ihren Mietern gesondert in Rechnung gestellte Beträge für die von den Hausmeistern der Häuser durchgeführte Reinigung der Gemeinschaftsräume. Ob dies nun Nebenleistung oder als selbstständige Leistung zu beurteilen ist, war Gegenstand des Rechtsstreits vor dem nationalen Gericht.
Entscheidung
Die Reinigung von Gemeinschaftsräumen in einer Mietwohnanlage ist nach der Entscheidung des EuGH keine Nebenleistung zur Vermietung, weil sie – anders als z.B. die Reinigung des Hotelzimmers bei der Vermietung an einen Reisenden durch einen Hotelier – nicht notwendigerweise zu dieser Art von Leistung gehört.
Hinweis
Die für die Abgrenzung Haupt- und Nebenleistung geltenden Grundsätze sind durch die Rechtsprechung des EuGH und damit übereinstimmend des BFH geklärt. Dass es im konkreten Fall Abgrenzungsprobleme gibt und immer geben wird, ist wegen der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse nicht verwunderlich. Je nach Interessenlage – geht es um Vorsteuerabzug oder um Steuerfreiheit – sind auch die Startpositionen unterschiedlich. Und auch die x-te Vorlage wird keine naturwissenschaftliche Klarheit zur Abgrenzung aller Lebenssachverhalte bringen.
Grundsatz: Jeder Umsatz ist i.d.R. als eigene, selbstständige Leistung zu betrachten. Aber:
- Unter bestimmten Umständen sind mehrere formal unterschiedliche Einzelleistungen, die getrennt erbracht werden und damit jede für sich zu einer Besteuerung oder Befreiung führen könnten, als ein einheitlicher Umsatz anzusehen, wenn sie nicht selbstständig sind. Dies ist z.B. der Fall, wenn festgestellt wird, dass eine oder mehrere Einzelleistungen eine Hauptleistung bilden und die andere Einzelleistung oder die anderen Einzelleistungen eine oder mehrere Nebenleistungen bilden, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Insbesondere ist eine Leistung als Neben- und nicht als Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.
- Eine einheitliche Leistung liegt zudem vor, wenn der Steuerpflichtige zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.
Kennzeichnend für die Besprechungsentscheidung ist, dass der EuGH die (gewichtigere) Vermietungsleistung definiert (die "im Wesentlichen darin besteht, dass ein Vermieter einem Mieter auf bestimmte Zeit gegen eine Vergütung das Recht einräumt, ein Grundstück so in Besitz zu nehmen, als ob er dessen Eigentümer wäre, und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen") und feststellt, dass dazu die Reinigung der Gemeinschaftsräume nicht notwendigerweise gehört. Denn diese könne unterschiedlich geregelt werden (u.a. durch einen Dritten, der die Kosten für diese Dienstleistungen den Mietern unmittelbar in Rechnung stellt, oder durch den Vermieter, der sich hierzu seines eigenen Personals bedient oder ein Reinigungsunternehmen in Anspruch nimmt). Er stellt außerdem fest, dass den Mietern die Reinigungsleistungen gesondert von der Miete in Rechnung gestellt worden ist. Und folgert daraus: Da die Vermietung von Wohnungen und die Reinigung von Gemeinschaftsräumen eines Gebäudes – unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens – voneinander getrennt werden können, können diese Vermietung und diese Reinigung auch nicht als eine einheitliche Leistung im Sinn der Rechtsprechung des Gerichtshofs angesehen werden.
Den Transport des Übernachtungsgasts vom Bahnhof zum Hotel durch den Hotelier (EuGH, Urteil vom 22.10.1998, C-308/96, C-94/96 – Madgett und Baldwin) hat er dagegen als Nebenleistung beurteilt, wobei diese Entscheidung allerdings eine andere Frage, nämlich die nach der Anwendung der Sonderregelungen für Reiseleistungen, vor allem aber einen einheitlichen Festpreis betrifft.
Der EuGH betont weiter, es sei Sache des nationalen Gerichts zu beurteilen, ob die ihm unterbreiteten Tatsachen über die vertragliche Formulierung hinaus charakteristisch für das Vorliegen eines einheitlichen Umsatzes sind.
Danach ist die vertragliche Vereinbarung der eine und die Art der Leistung der andere Ansatzpunkt für die Beurteilung.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 11.06.2009, C-572/07 – RLRE Tellmer Property sro –