Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßgebliche Beteiligung an Umsatzsteuerhinterziehung kein Grund für die Versagung des Vorsteuerabzugs. Keine Schätzungsbefugnis bei Ermittlungsergebnis aufgrund umfangreicher Beweiserhebung. Annahme von – nachweislich nicht getätigten – Inlandsumsätzen wegen der Erstellung unrichtiger Transportbelege
Leitsatz (redaktionell)
1. Die missbräuchliche Einbindung in einen Plan zur Mehrwertsteuerhinterziehung steht dem Abzug der Vorsteuern für innergemeinschaftliche Erwerbe nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG aufgrund der unmittelbaren Verknüpfung mit der Entstehung der Steuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG 1999 nicht entgegen (vgl. Sächsisches FG, Urteil v. 15.10.2008, 8 K 1490/07).
2. Hat das FA unter Ausnutzung strafprozessualer Befugnisse ermittelt, umfangreich Beweise erhoben und ist es auch hinsichtlich der streitgegenständlichen Fragen zu einem Ermittlungsergebnis gelangt, besteht keine Befugnis zur Schätzung nach § 162 Abs. 1 AO.
3. Steht fest, dass Inlandsumsätze mit Handys nicht getätigt wurden, kann das FA solche Inlandsumsätze nicht deshalb annehmen, weil der Unternehmer die Lieferwege für Mobilfunktelefone bewusst verschleiert und sich insofern auch als Beweisverderber betätigt hat.
Normenkette
UStG 1999 § 15 Abs. 1 Nrn. 3, 1, § 1 Abs. 1 Nr. 5, §§ 6a, 3d S. 2; AO §§ 162, 88
Nachgehend
Tenor
1. Die Bescheide über Umsatzsteuer 2000, 2001 und 2002 vom 01.07.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2006 werden aufgehoben.
2. Der Bescheid über Umsatzsteuer 2003 vom 01.07.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2006 wird dergestalt geändert, dass steuerpflichtige Lieferungen und sonstige Leistungen in Höhe von 305.906 Euro zu berücksichtigen sind.
3. Der Bescheid über Umsatzsteuer 2004 vom 05.12.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2006 wird dergestalt geändert, dass steuerpflichtige Lieferungen und sonstige Leistungen in Höhe von 480.843 Euro zu berücksichtigen sind.
4. Dem Beklagten werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
6. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob und in welcher Höhe die Klägerin für die Jahre 2000 bis 2004 Umsatzsteuer schuldet.
Die Klägerin wurde in notarieller Urkunde v. 24.8.2000 (UR-Nr. A) der Notarin G., L.) durch den Alleingesellschafter R. errichtet. R. war seinen Angaben vor der Notarin zufolge in I.-Ausland wohnhaft. Die Gesellschaft nahm ihren Sitz in der H.-Str. in L., wo H. wohnte, die R. zur notariellen Verhandlung am 24.8.2000 als Urkundszeugin begleitete. Im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung gab H. als Unternehmensgegenstand Export und Import mit erlaubnisfreien Waren sowie Groß- und Einzelhandel an.
Am 22.7.2002 erließ das Finanzamt L. einen Umsatzsteuerbescheid 2000 auf Schätzungsgrundlage. Es wurden -0,51 Euro festgesetzt. Wegen ausgezahlter 388,48 Euro erging eine Zahlungsaufforderung in Höhe von 387,97 Euro. Darauf reichte die Klägerin am 9.8.2002 eine Umsatzsteuererklärung ein. Die Klägerin erklärte steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe in Höhe von 10.928.737 DM mit einer Umsatzsteuer in Höhe von 1.748.598 DM, setzte diesen Betrag und einen weiteren Betrag in Höhe von 1.195,29 DM als Vorsteuer an, und erklärte im Übrigen steuerfreie Umsätze aus innergemeinschaftlichen Lieferungen in Höhe 11.016.888 DM. Ein dieser Erklärung entsprechender Umsatzsteuerbescheid wurde am 17.9.2002 erlassen.
Am 8.10.2003 erging ein Umsatzsteuerbescheid 2001 mit einer Festsetzung von -3.358 DM auf folgender Grundlage: innergemeinschaftliche Erwerbe in Höhe von 79.264.047 DM bei Umsatzsteuern in Höhe von 12.682.247,52 DM, steuerpflichtige Lieferungen etc. in Höhe von 6.695 DM bei Umsatzsteuern in Höhe von 1.071,20 DM, steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von 57.158.358 DM und Vorsteuern in Höhe von 12.682.248,36 DM sowie 4.427,61 DM. Die Zahlen wurden den quartalsweise abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen der Klägerin entnommen.
Die Umsatzsteuer 2002 wurde am 18.8.2004 mit -2.811,72 Euro auf folgender Grundlage festgesetzt: innergemeinschaftliche Erwerbe in Höhe von 64.456.685 Euro bei Umsatzsteuern in Höhe von 10.313.069,60 Euro, steuerpflichtige Lieferungen etc. in Höhe von 11.710 Euro bei Umsatzsteuern in Höhe von 1.873,60 Euro, steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von 65.058.993 Euro und Vorsteuern in Höhe von 10.314.943,20 Euro sowie 4.685 Euro. Die Zahlen wurden wiederum den quartalsweise abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen der Klägerin entnommen.
Seit dem 17.12.2002 fand bei der Klägerin eine Steuerfahndungsprüfung statt. Hierzu erging ein Zwischenbericht v. 14.6.2005 und ein Abschlussbericht v. 9.11.2006. Der letztgenannte Bericht stellt zum Sachverhalt fest: „Nach den bisherigen Feststellu...