Entscheidungsstichwort (Thema)
Zinssatz von 6 % für Aussetzungszinsen für einen im September 2015 endenden Zinszeitraum nicht verfassungswidrig. Verzicht auf Aussetzungszinsen unter Billigkeitsgesichtspunkten
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Zinssatz nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO bei der Berechnung von Aussetzungszinsen für einen Zinszeitraum von Januar 2011 bis September 2015 ist nicht verfassungswidrig; der Gesetzgeber war insoweit im maßgebenden Zeitraum unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu einer Anpassung des in § 238 AO normierten Zinssatzes an veränderte Kapitalmarktverhältnisse verpflichtet (vgl. BFH, Urteile v. 1.7. 2014, IX R 31/13; v. 14.4.2015, IX R 5/14; Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs v. 10.8.2017, 4 ZB 17.27; FG Münster, Urteil v. 15.9.2017, 10 K 2472/169).
2. Bei der Entscheidung über einen Verzicht auf Aussetzungszinsen aus Billigkeitsgründen (§ 237 Abs. 4 AO i. V. m. § 234 Abs. 2 AO) ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens als das beste Mittel ansieht, um einen Ausgleich zwischen den Geldnutzungsinteressen des Steuergläubigers und denen des Steuerpflichtigen herbeizuführen. Daher ist es für den Regelfall angemessen, die Entscheidung über die Festsetzung von Aussetzungszinsen als automatische Folge des Verfahrensausgangs über die Steuerfestsetzung anzusehen, so dass hiervon nur in besonders begründeten Einzelfällen abzuweichen ist (vgl. BFH, Urteil v. 31.3.2010, II R 2/09).
Normenkette
AO § 238 Abs. 1 S. 1, § 237 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, § 234 Abs. 2; GG Art. 14 Abs. 1, Art. 20
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Aussetzungszinsen.
Der Kläger und seine damalige mit ihm zusammen veranlagte Ehefrau hatten gegen die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2007 Einspruch eingelegt. Ihnen war während dieses Einspruchsverfahrens Aussetzung der Vollziehung ab Fälligkeit am 6. Januar 2011 gewährt worden. Nach Beendigung des Einspruchsverfahrens setzte der Beklagte mit Bescheid vom 07. Oktober 2015 Aussetzungszinsen gemäß § 237 AO mit einem Zinssatz von einhalb Prozent pro Monat (§ 238 AO) fest, die sich wie folgt ermittelten (Beträge in EUR):
Einkommensteuer 2005: |
4.714 |
vom 6. Januar 2011 bis 23. Juli 2015 |
1.260 |
Solidaritätszuschlag 2005: |
259,27 |
vom 6. Januar 2011 bis 23. Juli 2015 |
67 |
Einkommensteuer 2007: |
4.534 |
vom 6. Januar 2011 bis 28. September 2015 |
1.260 |
Solidaritätszuschlag 2007: |
249,37 |
vom 6. Januar 2011 bis 28. September 2015 |
56 |
Summe |
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2.652 |
Der Kläger legte dagegen Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 22. Januar 2016 zurückwies.
Der Kläger bringt vor, die Höhe des Zinssatzes nach § 238 AO sei nicht mehr verfassungsgemäß. Das BVerfG habe in seinem Beschluss vom 06. Juli 2010 deutlich gemacht, dass die steuerlichen Vorteile der zulässigen Typisierung im rechten Verhältnis zu der damit notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen müssen. Außerdem dürfe eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern müsse sich realitätsgerecht orientieren. Der Gesetzgeber müsse sich also an den Zinssätzen orientieren, die Unternehmen für die Anlage überschüssiger Mittel am Geldmarkt verdienten oder für die Aufnahme benötigter Mittel am Kreditmarkt bezahlen müssten. Der Zinssatz nach § 238 AO betrage aber seit seiner Einführung durch das Steueränderungsgesetz 1961, also seit mehr als 50 Jahren, unverändert 6% p.a.. Durch die Finanzkrise 2007/2008 sei der Leitzins durch die EZB auf das heutige, bisher nicht dagewesene Niedrigzinsniveau heruntergeregelt worden. Der aktuelle Leitzins der EZB betrage 0,05%. Der Basiszinssatz nach § 247 BGB betrage -0,83%. Für kurzfristige Kapitalanlagen würden lt. Bundesbankstatistik um die 0% Zinsen gezahlt. Die erzielbaren Zinsen tendierten zurzeit gegen 0%, die zu zahlenden Zinsen für Unternehmen beliefen sich lt. Bundesbank auf ca. 2,5% im variablen und kurzfristigen Bereich und das seit längerem.
Aufgrund der erheblichen Diskrepanz des Zinssatzes nach § 238 AO zum Marktzins habe der Steuerpflichtige keinen Vorteil mehr wenn er die Steuern erst später hoch verzinst zahlen müsse, denn er habe durch vermiedene Kreditzinsen keine 6% ersparen und schon gar nicht 6% mit einer zwischenzeitlichen Geldanlage verdienen können. Auch dem Staat entstehe kein Nachteil, da sich seine Finanzierungskosten derzeit je nach Laufzeit auf 0% bis 0,25% beliefen. Angemessen sei ein Zinssatz von lediglich ca. 3%.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über Aussetzungszinsen nach § 237 AO vom 07. Oktober 2015 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Januar 2016 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bringt vor, der Zinssatz sei nicht verfassungswidrig. Die ...