Sachverhalt
Bei dem Verfahren ging es um die Frage, ob Innenumsätze zwischen einer ausländischen Gesellschaft und ihrer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen festen Niederlassung steuerbar sein können. Im Streitfall hatte eine im Vereinigten Königreich ansässige Bank ihrer in Italien ansässigen festen Niederlassung Dienstleistungen der Beratung, des Managements, der Aus- und Fortbildung des Personals, der Datenverarbeitung sowie der Bereitstellung und Betreuung von Anwendersoftware erbracht, deren Kosten die Zweitniederlassung zu tragen hatte. Die Dienstleistungen waren nach italienischem Recht in Italien steuerbar steuerpflichtig und die italienische Niederlassung hatte als Steuerschuldner die Umsatzsteuerbeträge angemeldet und abgeführt (reverse charge System, Artikel 21 der 6. EG-Richtlinie), ohne jedoch - wegen der Steuerfreiheit der von ihr ausgeführten Finanzdienstleistungen - zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein. Anschließend hatte die Niederlassung die Rückerstattung dieser Umsatzsteuern mit der Begründung beantragt, sie habe als feste Niederlassung keine eigene Rechtspersönlichkeit mit der Folge, dass die Leistungen der britischen Gesellschaft nicht steuerbare Innenumsätze innerhalb ein und desselben Unternehmens gewesen seien. Die fehlende eigene Rechtspersönlichkeit der italienischen festen Niederlassung war unstreitig. Fraglich in dem Verfahren war somit, ob eine feste Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat dennoch eine eigenständige, von dem Unternehmen, zu dem sie gehört, verschiedene Unternehmereigenschaft besitzen kann.
Entscheidung
Nach dem EuGH-Urteil können Dienstleistungen zwischen einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Stammbetrieb und einer nicht als selbständige juristische Einheit eingetragenen festen Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat nicht als steuerbare Umsätze betrachtet werden. Eine Leistung ist nur dann steuerbar, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden (vgl. EuGH, Urteil v. 3.3.1994, C-16/93 (Tolsma)). Derartige Rechtsverhältnisse können nur zwischen (selbständigen) Unternehmern bestehen.
Bei Leistungen zwischen einem gebietsfremden Unternehmen und einer seiner Niederlassungen müsste die Niederlassung einer selbständigen Wirtschaftstätigkeit nachgehen, also insbesondere das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit tragen. Im Vorlagefall trug die Zweigniederlassung nach den Feststellungen des EuGH nicht selbst die wirtschaftlichen Risiken, die mit der Tätigkeit eines Kreditinstituts verbunden sind, wie z. B. bei Nichtrückzahlung eines Darlehens durch einen Kunden. Das Risiko lastete auf der britischen Bank als juristischer Person, deren finanzielle Stabilität und Zahlungsfähigkeit im Vereinigten Königreich überwacht wird. Insbesondere verfügte die italienische Zweigniederlassung über kein Dotationskapital. Infolgedessen - so der EuGH - ruhte das mit der Wirtschaftstätigkeit verbundene Risiko vollständig auf der britischen Bank. Die italienische Zweigniederlassung bildete somit zusammen mit der britischen Bank ein einziges Unternehmen mit der Folge, dass die Innenumsätze nicht steuerbar waren.
Hinweis
Artikel 9 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie steht dem nicht entgegen. Der EuGH stellt klar, dass die Vorschrift (auch) den Ort der Dienstleistung zwischen einer Zweigniederlassung und einem Dritten regelt. Sie betrifft nicht den Fall eines Innenumsatzes. Auch das Arm's-Length-Kriterium des Artikels 7 Absätze 2 und 3 des OECD-Musterabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung führt zu keinem anderen Ergebnis. Der EuGH stellt klar, dass das OECD-Musterabkommen zu den direkten Steuern ergangen ist und für die Mehrwertsteuer als indirekte Steuer nicht gelten kann.
Das Urteil entspricht der deutschen Rechtsauffassung (vgl. z.B. die Ausführungen in Abschnitt 16 Abs. 5 UStR zur Unternehmereigenschaft einer Innengesellschaft oder Abschnitt 192 Abs. 14 UStR, wonach Steuerbeträge, die für einen Innenumsatz - z. B. zwischen Betriebsabteilungen desselben Unternehmers oder innerhalb eines Organkreises - gesondert ausgewiesen werden, nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 23.03.2006, C-210/04