Leitsatz
1. Krankenhaus- und Heilbehandlungsleistungen einer Krankenhaus-GmbH sind nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. i.V.m. § 67 AO steuerfrei, wenn das Krankenhaus in mindestens 40 % der Jahrespflegetage keine Wahlleistungen zur Zimmerbelegung und zur Chefarztbehandlung erbringt und seine Leistungsentgelte nach Selbstkostengrundsätzen berechnet.
2. Bei der Berechnung der Jahrespflegetage ist nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. i.V.m. § 67 AO die Erbringung medizinischer Wahlleistungen nicht zu berücksichtigen.
Normenkette
§ 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 1993/1999, § 67 AO, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2 der 6. EG-RL
Sachverhalt
Der Träger einer Kurklinik mit Therapien zur Gesundheitsfürsorge und Rehabilitation (z.B. Heilfasten-, Therma-, Thymus-, Ganzheits-, Schmerz- und ATP-Therapien sowie biologisch aktive Zellregeneration) und einer Klinik für plastische Chirurgie beanspruchte die Steuerfreiheit der Umsätze.
Das FA war der Auffassung, die 40 %-Grenze sei nicht erfüllt. Die Klage hatte keinen Erfolg; das FG stellte darauf ab, ob die Leistungen nach Maßgabe der geltenden BPflV ersetzt werden müssen (Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.09.2006, 6 K 1268/03, Haufe-Index 1950266, EFG 2008, 741).
Entscheidung
Die Revision führte zur Zurückverweisung. Das FG muss feststellen, in welchem Umfang die Leistungen "Heilbehandlungen" sind, weil sie der Diagnose, Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen, einen therapeutischen Zweck haben oder zur Vorsorge erbracht werden. Leistungen, die lediglich den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern sollen, sind keine "Heilbehandlungen". Außerdem fehlten Feststellungen zum Umfang der Inanspruchnahme von Wahlleistungen zur Unterkunft und Chefarztbehandlung und zur Vorauskalkulation der Kosten.
Hinweis
Nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. waren befreit "die mit dem Betrieb der Krankenhäuser ... eng verbundenen Umsätze, wenn ... bei Krankenhäusern im vorangegangenen Kalenderjahr die in § 67 Abs. 1 oder 2 der AO bezeichneten Voraussetzungen erfüllt" wurden. Mit Urteil vom 25.11.1993, V R 64/89 (Haufe-Index 64763, BStBl II 1994, 212) hatte der V. Senat entschieden, dass die Verweisung auf § 67 AO und deren Verweisung auf die BPflV dazu führe, dass nicht mehr als 60 % der jährlichen Pflegetage auf Patienten entfallen dürfen, die sonstige, nach § 6 BPflV 1973 gesondert berechenbare Leistungen, sog. Wahlleistungen hinsichtlich der Unterkunft (Ein- oder Zweibettzimmer) oder der Arztwahl (Chefarztbehandlung) in Anspruch nehmen. Außerdem folge aus der Verweisung auf die BPflV das Erfordernis einer Vorauskalkulation der eigenen Selbstkosten auf der Basis der Bestimmungen der BPflV zur Kostenkalkulation (BFH, Urteil vom 02.10.2003, IV R 48/01, BFH/NV 2004, 428).
Die BPflV hat sich seit dem Inkrafttreten des § 4 Nr. 16 UStG (1977) mehrfach, u.a. auch zur "Kostendämpfung" geändert, z.B. durch die Thematisierung sog. medizinischer "Wahlleistungen" (z.B. "Schönheitsoperationen" oder – innovative – Alternativbehandlungsmethoden, deren Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen – ggf. noch – nicht getragen werden). Die Verweisung ist daher unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte und des Unionsrechts auszulegen. Die 6. EG-RL macht die Befreiung von Krankenhäusern in privater Trägerschaft davon abhängig, dass diese in sozialer Hinsicht mit den öffentlich-rechtlich organisierten Krankenhäusern vergleichbar sind. Die 40 %-Grenze dient diesem Kriterium:
Krankenhäuser in privater Trägerschaft unterliegen nur dann sozial vergleichbaren Bedingungen, wenn sie diese Wahlleistungen nur in beschränktem Umfang erbringen. Denn die Wahlleistungen Unterkunft und Chefarztbehandlung können nicht von allen Krankenhauspatienten, sondern nur von denjenigen in Anspruch genommen werden, die die hierfür erforderlichen Zusatzkosten aufbringen können und wollen. "Medizinische" Wahlleistungen, die eine Heilbehandlung i.S.d. Unionsrechts darstellen, dürfen jedoch – entgegen dem FG – bei der Ermittlung der 40 %-Grenze nicht berücksichtigt werden; denn das hätte zur Folge, dass die Begriffe der "Krankenhausbehandlung und der ärztlichen Heilbehandlung" nach nationalem Recht und nicht – wie erforderlich – autonom nach der 6. EG-RL ausgelegt werden. Der fehlende Heilbehandlungscharakter darf daher nicht allein daraus abgeleitet werden, dass eine Heilbehandlung nicht in der BPflV aufgeführt ist.
Entscheidend ist danach, in welchem Umfang Wahlleistungen zur Zimmerbelegung und Chefarztbehandlung erbracht werden; nicht zu berücksichtigen ist als Wahlleistung die Inanspruchnahme von Telefonen und Fernsehgeräten, weil diese Leistungen nach der EuGH-Rechtsprechung schon nicht zu den nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-RL steuerfreien Leistungen gehören.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 26.08.2010 – V R 5/08