Leitsatz
1. Die Steuerbefreiung der Umsätze aus heilberuflicher Tätigkeit i.S.v. § 4 Nr. 14 UStG 1973 setzt (richtlinienkonform) voraus, dass es sich um ärztliche oder arztähnliche Leistungen handeln muss und dass diese von Personen erbracht werden, die die erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweise besitzen.
2. Das Fehlen einer berufsrechtlichen Regelung ist für sich allein kein Hinderungsgrund für die Befreiung.
3. Vom Vorliegen eines beruflichen Befähigungsnachweises für eine ärztliche oder arztähnliche Leistung ist grundsätzlich auszugehen bei Zulassung des jeweiligen Unternehmers bzw. der regelmäßigen Zulassung seiner Berufsgruppe gem. § 124 Abs. 2 SGB V durch die zuständigen Stellen der gesetzlichen Krankenkassen.
4. Ist weder der jeweilige Unternehmer selbst noch – regelmäßig – seine Berufsgruppe gem. § 124 Abs. 2 SGB V durch die zuständigen Stellen der gesetzlichen Krankenkassen zugelassen, kann Indiz für das Vorliegen eines beruflichen Befähigungsnachweises die Aufnahme von Leistungen der betreffenden Art in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen (§ 92 SGB V) sein.
Normenkette
§ 4 Nr. 14 UstG , Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-RL , § 124 Abs. 2 SGB V , § 92 SGB V
Sachverhalt
Das FA versagte einem selbstständig tätigen Heileurythmisten die Umsatzsteuerbefreiung, der auf ärztliche Anordnung diese Bewegungstherapie angewendet hatte.
Das BVerfG (Beschluss vom 29.10.1999, 2 BvR 264/90, BStBl II 2000, 155) hatte eine Entscheidung des BFH beanstandet und ausgeführt, Art. 3 Abs. 1 GG verbiete eine nach der Existenz berufsrechtlicher Regelungen unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung. Die Befreiung sei zu gewähren, wenn die Leistungen "in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert" würden. Wie "in der Regel" zu verstehen sei, war offenbar auch nach dem BFH-Urteil vom 13.4.2000, V R 78/99 (BFHE 191, 441, UR 2000, 436) noch unklar (EFG 2002, 1330).
Entscheidung
Dass es sich bei den streitigen Umsätzen des Klägers um Heilbehandlungen i.S.d. vorstehenden Grundsätze handelte, war unproblematisch. Befreit sind diese jedoch nur im Rahmen der von den Mitgliedstaaten definierten Berufe. Dass Leistungen bei einem Unternehmer tatsächlich – wie möglicherweise im Streitfall – zu 85 % den Patienten erstattet worden sind, reicht nicht; denn dies hätte zur Folge, dass gleichartige Leistungen wegen der zum Teil regional unterschiedlichen Erstattungspraxis einzelner Krankenkassen für die Inanspruchnahme von Leistungen, die nicht im jeweils geltenden Leistungskatalog (§ 92 SGB V) enthalten sind, umsatzsteuerrechtlich ungeachtet des gleichen Leistungsinhalts unterschiedlich zu beurteilen wären. Auch könnte der Unternehmer nicht, wie nach dem System der Mehrwertsteuer grundsätzlich erforderlich, bereits im Zeitpunkt der Leistung feststellen, ob die betreffende Leistung der Umsatzsteuer unterliegt.
Hinweis
Der Fall, der noch das UStG 1973 betrifft, hat eine lange Geschichte, die nun ein systematisch wohl unausweichliches, für Leistungserbringer mit Behandlungsmethoden, die sozialversicherungsrechtlich (noch) nicht "kanonisiert" sind, nicht erfreuliches Ende gefunden hat. Die Vorgaben der Richtlinie und die Vorgaben des BVerfG zur Auslegung des § 4 Nr. 14 UStG, die nicht ganz deckungsgleich sind, waren zu harmonisieren:
Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-RL sind von der Steuer befreit "die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden". § 4 Nr. 14 UStG mit seiner Anknüpfung an das nationale EStG war daher unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung richtlinienkonform zurückzustutzen:
1. Eine Heilbehandlung i.S.d. 6. EG-RL setzt voraus, dass
- ärztliche oder arztähnliche Leistungen vorliegen,
- die von Personen erbracht werden, die die erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweise besitzen.
Nur im Übrigen verbietet es der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich (z.B. abhängig von der Rechtsform des Steuerpflichtigen) behandelt werden. Zweck der Befreiung ist es, die Kosten ärztlicher Heilbehandlung zu senken.
2. Heilbehandlungen i.S.d. 6. EG-RL sind Tätigkeiten, die zum Zweck der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen werden.
3. Hinsichtlich der erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweise lassen sich der Rechtsprechung des EuGH deswegen keine Anforderungen entnehmen, weil nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-RL die Definition der ärztlichen oder arztähnlichen Berufe den Mitgliedsstaaten obliegt. Insoweit sind nationale Regelungen heranzuziehen:
- Von der beruflichen Befähigung ist grundsätzlich auszugehen, wenn der Unternehmer die Voraussetzungen einer berufsrechtlichen Regelung erfüllt.
- Vom Vorliegen des Befähigungsnachweises ist grundsätzlich auszugehen, wenn die...