Rz. 711
Ob sich aus der "Ungewöhnlichkeit" bzw. "Außergewöhnlichkeit" einer Maßnahme auch ohne ausdrücklichen, von der Gesellschafterversammlung verfügten Zustimmungsvorbehalt eine Vorlagepflicht der Geschäftsführer ergibt, wird kontrovers diskutiert. Hierunter fallen insbesondere Maßnahmen, die der gängigen Unternehmenspraxis widersprechen, die ein erhebliches unternehmerisches Risiko mit sich bringen oder die eine grundlegende Bedeutung für die Gesellschaft haben (z. B. Ausgliederung wesentlicher Unternehmensteile), sowie diejenigen Maßnahmen, bei deren Durchführung mit einem Widerspruch der Gesellschafter zu rechnen ist.
Rz. 712
Eine weit verbreitete Auffassung geht in diesen Fällen von einer Vorlagepflicht der Geschäftsführer aus und begründet dies mit dem Gedanken des § 49 Abs. 2 GmbHG, wonach der Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung einberufen muss, sofern es im Interesse der Gesellschaft erforderlich erscheint. Dieses Erfordernis mache deutlich, dass die Gesellschafter die abschließende Entscheidungsgewalt über Maßnahmen von besonderer Bedeutung haben sollen. Letztlich wird hierbei eine Abgrenzung aus dem Personengesellschaftsrecht übernommen (§§ 116, 164 HGB). Auch der BGH bejaht eine Pflicht des Geschäftsführers, "bei besonders bedeutsamen Geschäften" von sich aus die Zustimmung der Gesellschafterversammlung einzuholen.
Rz. 713
Andere wiederum lehnen eine Abgrenzung der Kompetenzen auf Grundlage der Bedeutung der jeweiligen Maßnahme weitestgehend ab. Es handele sich um eine unpraktikable Abgrenzung; die Geschäftsführer seien auch bei solchen Maßnahmen immer zuständig, sofern keine anderweitige Regelung durch den Gesellschaftsvertrag oder durch einen Gesellschafterbeschluss getroffen wurde.
Rz. 714
Im Ergebnis vermag die erste Auffassung eher zu überzeugen. Aus dem Gesamtgefüge der Kompetenzregelungen im GmbH-Recht und insbesondere unter Beachtung der Regelung des § 49 Abs. 2 GmbHG ergibt sich, dass wesentliche Entscheidungen immer von dem Willen der Gesellschafter abhängig sein sollen. Dieses Ergebnis lässt sich nur erreichen, wenn man eine Vorlagepflicht bejaht. Und auch die zweite Auffassung hält eine Vorlagepflicht jedenfalls dann für erforderlich, wenn die Maßnahmen den von den Gesellschaftern festgelegten Grundsätzen der Geschäftspolitik widersprechen (solche Maßnahmen seien weisungswidrig), sowie dann, wenn mit einem Widerspruch der Gesellschafter zu rechnen sei (in diesem Fall gebiete bereits die Treuepflicht der Geschäftsführer eine Vorlage).
Legt der Geschäftsführer die Entscheidung über ungewöhnliche Maßnahmen nicht der Gesellschafterversammlung vor und führt diese dennoch durch, handelt er pflichtwidrig und macht sich gegebenenfalls schadensersatzpflichtig und/oder begründet einen wichtigen Grund für seine Abberufung. Letzteres wird insbesondere dann der Fall sein, wenn der Geschäftsführer positive Kenntnis davon hat, dass die Gesellschafter eine Maßnahme ablehnen würden, und er die Maßnahme dennoch ohne Vorlage an die Gesellschafterversammlung durchführt.
Vorlagepflicht festschreiben
Wollen die Gesellschafter sicherstellen, dass ihnen außergewöhnliche bzw. grundlegende Angelegenheiten zur Entscheidung vorgelegt werden, sollten sie eine Vorlagepflicht hierzu in dem Gesellschaftsvertrag oder durch einen Katalog zustimmungspflichtiger Maßnahmen festschreiben.
Tätigkeit über das Alltagsgeschäft hinaus
Geschäftsführer sollten zur Vermeidung einer eigenen Haftung und/oder Abberufung und Kündigung ihres Anstellungsvertrags immer dann eine Gesellschafterversammlung einberufen und eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung herbeiführen, wenn die konkrete Maßnahme erheblich über das Alltagsgeschäft hinausgeht.