Leitsatz
Hinsichtlich des Vorsteuervergütungsanspruchs aus der Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters hat das Finanzamt das insolvenzrechtliche Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu beachten. Der Insolvenzverwalter kann dieses Aufrechnungsverbot analog § 146 Abs. 1 InsO i.V.m. §§ 195 ff. BGB nur innerhalb einer dreijährigen Verjährungsfrist durchsetzen. Die Verjährungsfrist beginnt frühestens mit Ablauf desjenigen Jahres, in dem der Vorsteuervergütungsanspruch steuerrechtlich entstanden ist.
Normenkette
§ 96 Abs. 1 Nr. 3, § 146 Abs. 1 InsO, § 199 Abs. 1 BGB
Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in einem im Dezember 2006 eröffneten Insolvenzverfahren. Für seine vorangegangene Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter setzte das Insolvenzgericht im Januar 2010 eine Vergütung zuzüglich Umsatzsteuer fest. Die Vergütung wurde im ersten Quartal 2010 aus der Insolvenzmasse dem Kläger gezahlt.
In der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das erste Quartal 2010 machte der Kläger für die Insolvenzschuldnerin einen entsprechenden Vorsteuervergütungsanspruch geltend. Das FA verrechnete die Vorsteuer mit Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin aus den Jahren 2000 und 2005. Hierüber erließ das FA einen Abrechnungsbescheid. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das FG änderte den Abrechnungsbescheid dahin, dass ein Vorsteuervergütungsanspruch der Insolvenzschuldnerin für das erste Quartal 2010 festgestellt wurde. Der Aufrechnung des FA stehe das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegen, da die nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters eine nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung sei. Die daraus ableitbaren Rechte seien nicht analog § 146 InsO i.V.m. §§ 195ff. BGB verjährt, denn die Verjährung beginne erst zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung (Niedersächsisches FG, Urteil vom 6.6.2013, 5 K 2/13, Haufe-Index 6205812).
Entscheidung
Aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen hat der BFH die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
Beendet der vorläufige Insolvenzverwalter seine Tätigkeit mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (für das er dann i.d.R. auch als Insolvenzverwalter bestellt wird) und wird für seine bisherigen Leistungen eine Vergütung zuzüglich Umsatzsteuer (USt) festgesetzt und in Rechnung gestellt, entsteht für die Insolvenzmasse, soweit die Vorsteuer nicht gemäß § 16 Abs. 2 UStG mit entstandener USt verrechnet wird, ein entsprechender Vorsteuervergütungsanspruch. Hat das FA offene Steuerforderungen (was bei Insolvenz fast immer der Fall ist), kann das FA gegen den Vorsteuervergütungsanspruch gleichwohl nicht aufrechnen.
Nach der Rechtsprechung des BFH steht § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO der Aufrechnung entgegen, weil das FA die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung i.S.d. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erlangt hat. Die anfechtbare Rechtshandlung sieht der BFH in der Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters, für die eine Rechnung mit USt-Ausweis erteilt wurde und in deren Folge der Vorsteuervergütungsanspruch der Insolvenzmasse und die Aufrechnungslage entstanden sind (BFH, Urteil vom 2.11.2010, VII R 6/10, BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374). Trotz der nach wie vor unbeantworteten Frage, wie es denn sein kann, dass der Insolvenzverwalter seine als vorläufiger Insolvenzverwalter erbrachten Leistungen anfechten können soll (schließlich bedeutet "anfechtbar" nach dem Wortsinn, dass die Möglichkeit der Anfechtung besteht), hat der BFH im Streitfall an dieser Rechtsprechung festgehalten. Die Kontinuität der Rechtsprechung ist ja auch ein hohes Gut.
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ging es im Streitfall darum, ob der Anfechtungsanspruch des Insolvenzverwalters verjährt war. Nach § 146 Abs. 1 InsO richtet sich die Verjährung des Anfechtungsanspruchs nach den Verjährungsvorschriften des BGB. Dies gilt entsprechend für die Abwehr einer Aufrechnung unter Berufung auf § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO: Nach der Rechtsprechung des BGH – der sich der BFH im Streitfall angeschlossen hat – kann der Insolvenzverwalter die insolvenzrechtliche Wirkung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nur innerhalb der Frist des § 146 Abs. 1 InsO durchsetzen (BGH, Urteile vom 28.9.2006, IX ZR 136/05, BGHZ 169, 158; vom 17.7.2008, IX ZR 148/07, ZIP 2008, 1593).
Streitig war vorliegend der Beginn der Verjährungsfrist. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Frist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Übertragen auf den Streitfall kam es nach Ansicht des BFH daher nicht in Betracht, auf den Zeitpunkt der anfechtbaren Rechtshandlung (Leistung des vorläufigen Insolvenzverwalters) abzustellen, denn seinerzeit war nicht absehbar, ob und in welcher Höhe ein Vorsteuervergütungsanspruch entstehen würde. Auch an § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO war seinerzeit noch ...