Leitsatz

Ein Pflegekindschaftsverhältnis ist gegeben, wenn sich der Bruder und seine Frau als gerichtlich bestellte Betreuer in vollem Umfang um die volljährige, behinderte Schwester, die kein selbstbestimmtes Leben führen kann, kümmern, sie umfassend versorgen und betreuen, die Hauptmahlzeiten kochen, Wäsche machen und finanzielle, persönliche, gesundheitliche und Behördenangelegenheiten etc. erledigen.

 

Sachverhalt

Für die vollwaise, behinderte Schwester des Klägers wurden der Kläger und dessen Ehefrau nach dem Tod des Vaters im Jahr 2004 als Pflegeeltern bestimmt. Nachdem die Schwester zunächst in der Wohnung des Klägers betreut wurde, zog sie im Mai 2005 in eigene Räumlichkeiten, welche sich im unmittelbar angrenzenden Gebäude befanden. Die Familienkasse versagt ab Juni 2005 die Gewährung des Kindergeldes, weil die Schwester nicht mehr in den Haushalt des Klägers aufgenommen sei. Im Klageverfahren macht der Bruder geltend, dass die Schwester aufgrund der Behinderung kein eigenständiges Leben führen könne und sich in der angrenzenden kleinen Wohnung (ohne Herd) nur zum Schlafen und in der Freizeit aufhalte. Die Zugehörigkeit zum Haushalt des Klägers sei daher weiter gegeben.

 

Entscheidung

Nach Auffassung des FG hat der Kläger Anspruch auf Kindergeld, weil es sich bei der Schwester um ein Pflegekind i. S. des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG handelt. Pflegekinder sind nach der Legaldefinition des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Ein familienähnliches Band ist gegeben, wenn das Kind wie zur Familie gehörig angesehen und behandelt wird. Dies wird dann angenommen, wenn zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Kind ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern besteht (BFH, Urteil v. 21.04.2005, III R 53/02, BFH/NV 2005, 1547). Die hier allein streitige Tatbestandsvoraussetzung der Haushaltsaufnahme ist erfüllt. Das Kind muss gem. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG in den Haushalt der Pflegeeltern aufgenommen worden sein. Dabei sind die Gesamtumstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Es ist keine enge Auslegung des Haushaltsbegriffs geboten (vgl. Schmidt/Loschelder, EStG, § 32 Rz. 15). Haushaltsaufnahme bedeutet die Aufnahme in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienhafter Art. Es rechtfertigt keinen Unterschied, ob ein Kind in einem großen Einfamilienhaus in gesonderten Räumen wohnt oder in Räumlichkeiten, die nur wenige Schritte von der Wohnung der Pflegeeltern entfernt gelegen sind.

 

Hinweis

Das Urteil des FG ist rechtskräftig. In vergleichbaren Fällen sollten Betroffenen sich auf dieses Urteil berufen und Kindergeld beantragen. Im Fall der Ablehnung besteht jedoch kein Anspruch auf Ruhen des Einspruchsverfahrens und es muss ggf. Klage erhoben werden.

 

Link zur Entscheidung

Thüringer FG, Urteil vom 05.09.2007, III 680/06

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