Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Leitsatz
Verliert der Unternehmer sämtliche Unterlagen, die den Vorsteuerabzug belegen, kann das Finanzamt die Vorsteuerbeträge schätzen. Die Zeugenaussage, dass nur ordnungsgemäße Rechnungen gebucht worden sind, reicht dabei für einen vollen Vorsteuerabzug nicht aus.
Sachverhalt
Der Kläger war Organträger einer GmbH. Nachdem vom Finanzamt eine Prüfungsanordnung erlassen worden war, wurde das gesamte Umlauf- und Anlagevermögen der GmbH veräußert und die Liquidation der GmbH betrieben. Im Zuge eines daraus resultierenden Umzugs wurden sämtliche Buchhaltungsunterlagen und Computer auf einem Kleinlaster gelagert, der dann gestohlen wurde. Aus diesem Grund konnten für die Prüfungsjahre keine Unterlagen bereitgestellt werden.
Der Kläger hatte von den Zulieferern Bestätigungen eingeholt, dass nur ordnungsgemäße Rechnungen ausgestellt worden waren, hatte Beispielrechnungen angefordert und darüber hinaus eidesstattliche Versicherungen der mit der Buchführung beauftragten Personen vorgelegt, dass nur ordnungsgemäße Rechnungen gebucht worden waren.
Soweit Doppel der Rechnungen vorgelegt wurden, wurde der Vorsteuerabzug - soweit die Doppel der Rechnungen ordnungsmäßig waren - anerkannt, darüber hinaus wurde der Vorsteuerabzug mit 60 % der geltend gemachten Vorsteuerbeträge angesetzt. Gegen den pauschalen Ansatz der weiteren Vorsteuerbeträge i. H. v. 60 % richtete sich die Klage.
Entscheidung
Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen, da der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt wurde.
Das Finanzamt war zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen befugt. Gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 AO dürfen die Finanzbehörden die Besteuerungsgrundlagen insbesondere dann schätzen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann.
Grundsätzlich erfordert der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG eine ordnungsgemäße Rechnung. Vorsteuerbeträge können jedoch auch ohne Rechnung berücksichtigt werden, wenn mit ausreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass dem Steuerpflichtigen ursprünglich ordnungsgemäße Rechnungen vorgelegen haben. Entscheidend ist, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG einschließlich des ursprünglichen Rechnungsbesitzes des Unternehmers zur Überzeugung des Gerichts vorgelegen haben. Dieser Nachweis ist dem Kläger nach Auffassung des Senats nicht gelungen.
Der Kläger hat nach Auffassung des Gerichts insbesondere nicht vorgetragen, für welche konkrete Leistung ihm der Vorsteuerabzug zusteht. Der Kläger hat lediglich beantragt, verschiedene Zeugen zu der Frage zu vernehmen, dass ausschließlich ordnungsgemäße, zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnungen gebucht wurden, zugleich aber eingeräumt, dass den benannten Zeugen die einzelnen Rechnungen nicht mehr erinnerlich seien. Damit aber hat der Kläger nicht die zum Vorsteuerabzug notwendigen Tatsachen vorgetragen. Dabei verkennt der Kläger, dass nicht das Vorliegen von Rechnungen streitig ist, sondern ob ihm aus den einst in seinem Besitz befindlichen Rechnungen der Vorsteuerabzug zusteht. Das Gericht kann nur aufgrund der Vorlage der Rechnungen oder nach einer Beweisaufnahme feststellen, ob diese Voraussetzungen vorliegen; denn erst, wenn im Einzelnen bei gesondertem Ausweis der Vorsteuer der Leistungsgegenstand, der Leistungszeitpunkt und die Höhe des Entgelts festgestellt werden kann, kann das Gericht darüber befinden, ob eine ordnungsgemäße Rechnung vorlag, die zum Vorsteuerabzug berechtigt. Hierfür hat der Kläger keinen Beweis angeboten.
Das Gericht sah sich deshalb nicht in der Lage, über die vom Finanzamt anerkannten 60 % der geltend gemachten Vorsteuerbeträge hinaus einen Vorsteuerabzug zu gewähren.
Hinweis
Der Unternehmer muss für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG bei bezogenen Leistungen ordnungsgemäße Rechnungen der leistenden Unternehmer vorweisen können. Lagen diese Rechnungen bei Leistungsbezug vor, gehen dann aber verloren oder werden vernichtet (Brand / Wasserschaden), kann der Unternehmer mit allen Beweismitteln darlegen, dass die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorgelegen haben. Dabei kann die Höhe des Vorsteuerabzugs geschätzt werden.
Leider hat das FG nicht dargelegt, in welcher Weise dieser Nachweis aus seiner Sicht geführt werden muss - es wurde nur dargestellt, dass die vom Unternehmer vorgelegten Nachweise und die Zeugenaussagen nicht ausreichend sind. Das Urteil des Gerichts könnte dahin verstanden werden, dass dieser Nachweis durch vollständige Vorlage von Rechnungsdoppeln o. ä. geführt werden kann; dass Zeugen sich nach mehreren Jahren an Inhalte einzelner Rechnungen erinnern können, kann wohl auch nicht ernsthaft angenommen werden. Ob das praxisgerecht ist - insbesondere in den Fällen höherer Gewalt (Brand / Wasserschaden) - kann allerdings bezweifelt werden.
Gegen das Urteil des FG ist Revision beim BFH unter V R 23/13 anhängig.
Link zur Entscheidung
FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20.02.2013, 2 K 1037...