Leitsatz
§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG ist auch nach den Modifikationen durch das SEStEG dahin auszulegen, dass er nur für die Fälle auf § 17 EStG verweist, in denen der gemeine Wert der Anteile zu dem für die Besteuerung maßgebenden Zeitpunkt die Anschaffungskosten übersteigt (Anschluss an das Senatsurteil vom 28. Februar 1990, I R 43/86, BFHE 160, 180, BStBl II 1990, 615).
Normenkette
§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG i.d.F. des SEStEG/JStG 2009, § 17 EStG
Sachverhalt
Am 1.7.2009 gaben die Kläger ihren inländischen Wohnsitz auf und zogen nach Österreich. Der Kläger hielt zu diesem Zeitpunkt Anteile an fünf Kapitalgesellschaften (A, B, C, D und E), an deren Kapital er innerhalb der letzten fünf Jahre zu mindestens 1 % beteiligt war. Auf Antrag veranlagte das FA die Kläger für das gesamte Streitjahr (2009) zur Einkommensteuer (§ 1 Abs. 3, § 1a Abs. 1 EStG). Dabei setzte das FA Einkünfte nach § 17 EStG an (Hinweis auf § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG); es ergaben sich in Bezug auf die Beteiligungen an A und B fiktive Veräußerungsgewinne auf den Wegzugszeitpunkt (Ansatz nach § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c EStG zu 60 %). In Bezug auf die anderen Beteiligungen ergaben sich fiktive Veräußerungsverluste auf diesen Zeitpunkt, die das FA nicht berücksichtigte. Das FG wies die Klage ab (FG München, Urteil vom 25.3.2015, 1 K 495/13, Haufe-Index 7938406, EFG 2015, 1210).
Entscheidung
Der BFH bestätigte in der Sache die klageabweisende Entscheidung des FG.
Hinweis
1.§ 6 AStG ist ein Ersatzrealisationstatbestand – der Steuerzugriff auf während der unbeschränkten Steuerpflicht gebildete stille Reserven im Beteiligungsbesitz erfolgt bei Wegzug, um bei einer (späteren) tatsächlichen Realisation von Gewinnen kraft Abkommensrechts drohende Besteuerungslücken für den deutschen Fiskus zu vermeiden (sog. Wegzugsbesteuerung als Erweiterung der sachlichen Steuerpflicht bei Anteilsbesitz). Die Steuer kann gestundet werden; es bestehen dann Nachweis- und Meldepflichten.
2. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob das FA zu Recht nur die fiktiven Veräußerungsgewinne aus den Anteilen A und B, nicht aber auch die noch nicht realisierten Wertminderungen der Anteile C, D und E berücksichtigt hat. Der BFH bestätigt die Rechtsauffassung des FA.
3. Dabei war vorab zu klären, ob die Kläger durch den Antrag i.S.d. § 1 Abs. 3 EStG (Veranlagung als unbeschränkt steuerpflichtig) der Wegzugsbesteuerung entgehen konnten. Dies wird vom BFH unter Hinweis auf § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AStG (abkommensrechtliche Ansässigkeit in Österreich) abgelehnt.
4. Alsdann war zu entscheiden, ob die (engen) Grundsätze einer früheren BFH-Entscheidung zu dieser Frage (s. den Leitsatz) angesichts zwischenzeitlicher Rechtsänderungen noch aufrecht zu halten waren – dies wird vom BFH bestätigt. Es ist nicht erkennbar, dass sich § 6 AStG zu einer umfassenden Entstrickungsvorschrift gewandelt hat.
So lautet die amtliche Überschrift des § 6 AStG nach wie vor "Besteuerung des Vermögenszuwachses". § 6 Abs. 1 Satz 5 AStG enthält auch weiterhin keine Regelung, nach der der nach § 17, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG anzusetzende Gewinn um eine bereits nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG erfasste Vermögensminderung zu erhöhen wäre.
Außerdem ist auf eine sonst eintretende "Schieflage" zu verweisen: Einerseits würde über § 6 Abs. 5 AStG"die nach Absatz 1 geschuldete Steuer" von Amts wegen zinslos und ohne Sicherheitsleistung bis zur Veräußerung der Anteile (oder bis zum Eintritt bestimmter Ersatztatbestände) gestundet (die sofortige Steuerfestsetzung wirkt daher nur noch als Sicherungsinstrument). Andererseits würden zum Wegzugszeitpunkt noch nicht realisierte Veräußerungsverluste unmittelbar steuerwirksam, ohne dass absehbar wäre, ob, wann und unter welchen Umständen es zu einem späteren Realisationsakt kommen würde und ob die dann realisierten Veräußerungsverluste überhaupt im Inland steuerlich zu berücksichtigen wären.
Nicht zuletzt wird man § 6 Abs. 6 AStG entnehmen können, dass das Gesetz dem dort angeführten "Vermögenszuwachs" nur nachfolgende "Wertminderungen" der Anteile gegenrechnen möchte; es kommt nicht in Betracht, unter den Begriff Vermögenszuwachs auch eine Wertminderung zu subsumieren ("negativer Vermögenszuwachs").
5. Das FG hat auch zutreffend entschieden, dass die fiktiven Veräußerungsgewinne (Anteile A und B) nicht saldierend mit den zum Wegzugszeitpunkt zu verzeichnenden Wertminderungen der Anteile C, D und E zu verrechnen sind. Dem steht die § 17 EStG zugrunde liegende, anteilsbezogene Betrachtungsweise entgegen.
6. Nicht zuletzt "sperrt" das DBA diese Besteuerung nicht. Vielmehr behält Art. 13 Abs. 6 Satz 1 des DBA-Österreich 2000 dem Vertragsstaat, in dem eine natürliche Person während mindestens fünf Jahren ansässig war, ausdrücklich das Recht vor, bei Anteilen an Gesellschaften einen Vermögenszuwachs bis zu ihrem Ansässigkeitswechsel zu besteuern. Der andere Staat hat in diesem Fall nach Satz 2 der Vorschrift bei späterer Veräußerung der Anteile bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns als Anschaffu...