Leitsatz
USt-Erstattungsansprüche in Zusammenhang mit dem Betrieb von Geldspielautomaten, die vom FA bestritten worden waren, sind zum ersten Bilanzstichtag zu aktivieren, der auf die vorbehaltlose Veröffentlichung des BFH-Urteils vom 12.5.2005, V R 7/02 (BFH/NV 2005, 1731; Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil vom 17.2.2005, C-453, 462/02 – Linneweber und Akritidis –, Slg. 2005, I-1131) im BStBl II vom 30.9.2005 folgt.
Normenkette
§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB
Sachverhalt
Der Kläger erzielte u.a. aus dem Betrieb von Geldspielautomaten Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die er durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte. Die Umsätze aus dem Betrieb der Geldspielautomaten wurden zunächst der USt unterworfen. Im Hinblick auf europarechtliche Bedenken beantragte der Kläger, diese Umsätze steuerfrei zu belassen. Das FA lehnte dies ab und brachte das anschließende Einspruchsverfahren zum Ruhen.
Mit Urteil vom 17.2.2005 in der Rs. Linneweber und Akritidis entschied der EuGH auf entsprechende Vorabentscheidungsersuchen des BFH, die 6. EG-RL stehe nationalen Rechtsvorschriften entgegen, nach denen die Veranstaltung von Glücksspielen oder der Betrieb von Glücksspielgeräten durch sonstige Wirtschaftsteilnehmer nicht von der USt befreit sei. Nachfolgend entschied der BFH mit Urteil vom 12.5.2005, V R 7/02 (BFH/NV 2005, 1731), ein Betreiber von Geldspielautomaten könne sich für die Umsatzsteuerfreiheit seiner Umsätze unmittelbar auf die 6. EG-RL berufen. Das BFH-Urteil wurde im September 2005 vorbehaltlos im BStBl II veröffentlicht. Der Kläger bezifferte seine Erstattungsansprüche erstmals in einem Schreiben vom 16.2.2006. Hinsichtlich des Erstattungsbetrags des Jahres 1998 führte das FA eine USt-Sonderprüfung durch. Zwischen Mai 2006 und Januar 2007 erließ es die entsprechenden USt-Erstattungsbescheide sowie die Bescheide über die Erstattungszinsen nach § 233a AO.
Der Kläger stellte seinen Jahresabschluss für das Streitjahr 2005 am 26.4.2007 auf, berücksichtigte jedoch darin nicht die USt-Erstattungsansprüche für die Jahre 1996 bis 2001. Unter Berufung auf das BMF-Schreiben vom 5.7.2006 (BStBl I 2006, 418) erfasste das FA die genannten Erstattungsansprüche einschließlich des Gesamtbetrags der Erstattungszinsen unter Anpassung der GewSt-Rückstellung gewinnerhöhend. Das FG gab der Klage statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 30.6.2010, 15 K 4281/08 E,G,Zerl, Haufe-Index 2365512, EFG 2010, 1521). Bestrittene Forderungen seien erst zu aktivieren, wenn sie rechtskräftig zuerkannt seien oder der Schuldner sein Bestreiten aufgegeben habe. Das FA habe allein aufgrund der Veröffentlichung des BFH-Urteils im BStBl II noch keine geänderten USt-Festsetzungen erlassen und damit zu dem Zeitpunkt sein Bestreiten nicht aufgegeben. Dass die Änderungsbescheide noch vor der Aufstellung des Jahresabschlusses für 2005 ergangen seien, sei irrelevant, da die darin liegende Aufgabe des Bestreitens eine wertbegründende Tatsache darstelle, die nur berücksichtigt werden dürfe, wenn sie bereits am Bilanzstichtag gegeben sei.
Entscheidung
Die Revision des FA hatte Erfolg. Sie führte aus den oben unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung. Im zweiten Rechtsgang sind die Feststellungen zur Höhe der bis zum Bilanzstichtag entstandenen Erstattungszinsen nachzuholen.
Hinweis
1. Nach der BFH-Rechtsprechung sind Forderungen, insbesondere Geldforderungen aus Lieferungen und Leistungen, zu aktivieren, sobald sie (unabhängig von ihrer rechtlichen Entstehung) wirtschaftlich in der Vergangenheit verursacht und am Bilanzstichtag hinreichend sicher sind. Für die Bilanzierung kommt es nicht entscheidend darauf an, ob ein Anspruch bereits im zivil- oder öffentlich-rechtlichen Sinne entstanden ist. Maßgebend ist bei einem erst in der Entstehung begriffenen Anspruch vielmehr, ob sich die Anwartschaft genügend konkretisiert hat und im Fall einer Betriebsveräußerung von den Vertragsparteien bei der Bemessung des Kaufpreises berücksichtigt würde. Zivilrechtliche Ansprüche können selbst dann zu aktivieren sein, wenn sie formal noch unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit stehen, sofern der Kaufmann nach den Umständen des Einzelfalls bereits am Bilanzstichtag bei normalem Geschäftsablauf fest mit der Zahlung rechnen kann.
2. Für Steuererstattungsansprüche folgt daraus: Sind bis zum Bilanzstichtag nicht nur das EuGH-Urteil, das die Grundlage für den Erstattungsanspruch ist, sondern auch das entsprechende BFH-Urteil ergangen und ist das Letztere im BStBl II veröffentlicht worden, stehen der Realisierung des Erstattungsanspruchs keine materiell-rechtlichen Hindernisse mehr entgegen. Da in der vorbehaltlosen Veröffentlichung einer BFH-Entscheidung im BStBl II die Anweisung der obersten Finanzbehörden an die nachgeordneten Dienststellen der Finanzverwaltung liegt, die in der jeweiligen Entscheidung enthaltenen Rechtsgrundsätze auf gleich gelagerte Sachverhalte über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden, ist e...