FinMin Brandenburg, Erlaß v. 09.03.2011, 31-S 7300-3/10
In seinem Urteil vom 15. Juli 2010, C-368/09 führt der EuGH aus, dass der aufgrund fehlerhafter Angaben in einer Rechnung ursprünglich zu Unrecht geltend gemachte Vorsteuerabzug erhalten bleibt, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind und der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte (ordnungsgemäße) Rechnung zugeleitet hat.
Nach bestehender – und von der Rechtsprechung des BFH bestätigten – Verwaltungsauffassung ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG für den Besteuerungszeitraum zulässig, in dem erstmalig alle Voraussetzungen erfüllt sind. Voraussetzung ist u. a. der Besitz einer nach den Vorschriften der §§ 14, 14a UStG ausgestellten Rechnung, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG. Im Falle der Rechnungsberichtigung oder –ergänzung kann der Vorsteuerabzug erst zu dem Zeitpunkt vorgenommen werden, in dem der Rechnungsaussteller die Rechnung nach § 31 Abs. 5 UStDV berichtigt und die zu berichtigenden Angaben an den Rechnungsempfänger übermittelt hat (vgl. auch Abschnitt 15.2. Abs. 5 UStAE). Eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt, zu dem erstmalig ein Vorsteuerabzug hätte vorgenommen werden können, tritt bei einer Berichtigung oder Ergänzung der fehlerhaften oder unvollständigen Rechnung nicht ein.
Ich bitte die Auffassung zu vertreten, dass der EuGH mit diesem Urteil nicht entschieden hat, dass eine Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zurückwirkt. Vielmehr ist die derzeitige Verwaltungsauffassung beizubehalten.
Dem EuGH-Urteil sind keine Aussagen zu entnehmen, die zu einer Änderung der bisherigen Verwaltungsauffassung führen, denn der EuGH hat an keiner Stelle eine Aussage getroffen, wonach eine wirksam berichtigte Rechnung auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs zurückwirkt. Dem EuGH ist die Frage zum Zeitpunkt der Gewährung des Vorsteuerabzuges gar nicht gestellt worden.
Obwohl der EuGH in seiner Entscheidung auch Artikel 167 der MwStSystRL
zitiert, hat er die Fragen des vorlegenden Gerichts erkennbar so aufgefasst, dass zu klären ist, ob die formellen Voraussetzungen des ungarischen Rechts an die berichtigte Rechnung mit der MwStSystRL vereinbar sind (Rn. 36 des Urteils). Im Übrigen ist der EuGH im Rahmen seiner Urteilsbegründung weder auf die Vorschrift des Artikel 179 MwStSystRL, die den verfahrensrechtlichen Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs regelt, noch auf seine einschlägigen Erkenntnisse im Urteil vom 29.4.2004 in der Rechtssache C-152/02 (Terra Baubedarf-Handel) eingegangen. Nach Artikel 179 Abs. 1 MwStSystRL ist der Vorsteuerabzug in dem Steuerzeitraum vorzunehmen, in dem „das Abzugsrecht entstanden ist und gemäß Artikel 178 ausgeübt wird”, demnach auch eine ordnungsgemäße Rechnung im Sinne des Artikel 178 Buchstabe a i. V. m. Artikel 226 MwStSystRL vorliegt.
Zwischenzeitlich hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg in einem Aussetzungsverfahren nach § 69 FGO die bisherige nationale Regelung bestätigt (Beschluss vom 22. Februar 2011, 5 V 5004/11).
Das Finanzgericht führt zu dem EuGH-Urteil in der Rs. Pannon Gép Centrum kft. u. a. aus:
„Der Vorsteuerabzug ist in den Streitjahren auch nicht aus den korrigierten Rechnungen zu gewähren, da die Rechnungskorrektur keine Rückwirkung entfaltet.
Auf die Vorlage des BFH vom 21.3.2001 (V R 33/01, BFH/NV 2002, 886) hat der EuGH mit Urteil vom 29.4.2004 (C-152/02 -Terra Baubedarf-, Slg. 2004, 5583) entschieden, dass Artikel 18 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Sechste EG-Richtlinie) so auszulegen ist, dass das Vorsteuerabzugsrecht für den Erklärungszeitraum auszuüben ist, in dem die beiden dort genannten erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, dass nämlich die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt wurde und dass der Steuerpflichtige die Rechnung oder das Dokument besitzt, das nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Kriterien als Rechnung betrachtet werden kann. Die Voraussetzung des Besitzes einer Rechnung, die auch in der ab 2004 gültigen Fassung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG Niederschlag findet, schließt den Vorsteuerabzug zu einem Zeitpunkt, in dem eine (ordnungsgemäße) Rechnung (noch) nicht vorliegt, aus. Dies ist von der anschließenden Rechtsprechung des BFH bestätigt worden (vgl. Urteile vom 01.07.2004 V R 33/01, BStBl II 2004, 861; vom 30.04.2009 V R 15/07, BStBl II 2009, 774; Beschluss vom 3.8.2009 XI B 32, 33/09, juris). Eine Änderung dieser Beurteilung aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 15.7.2010 (C-368/09) hält der Senat nicht für geboten (vgl. dagegen Anmerkungen zum EuGH-Urteil vom 15.7.2010 von Martin, BFH/PR 2010, 389 und Wäger, DStR 2010, 1478 sowie Sterzinger, UR 2010, 700).
In dieser Entscheidung hat sich der EuGH (lediglich) mit der Frage befasst, ob der Vorsteuerabzug nach nationalem Recht ausgesc...